Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
langsam rückwärts raus, und als ich aus der Tür war, bin ich nur noch gerannt.
H ILDEBRANDT: Wie alt warst du da?
E NSIKAT: Gerade mal zwanzig. Tage später habe ich mich dann aufgerafft und in einem Brief an Ulbricht geschrieben, dass, wenn die Eingesperrten Antikommunisten wären, ich auch einer sei. Bekam natürlich keine Antwort. Nur eine Dozentin der Schule, die Einzige übrigens, die damals zu uns gehalten hat, nahm mich beiseite und meinte, dass keinem gedient wäre, wenn einer mehr ins Gefängnis käme. Sie hatte inzwischen Verbindung aufgenommen zu Konrad Wolf, dem Filmregisseur und Bruder des Stasigenerals Markus Wolf. Der hat dann wohl seinen Einfluss geltend gemacht, dass das Urteil relativ milde ausfiel. Von diesem Urteil erfuhr ich wiederum durch die Dozentin. Ich hatte nämlich in einem anderen Brief verlangt, bei der Verhandlung als Zeuge vernommen zu werden. Das wurde vom Gericht ohne Begründung abgelehnt. Die Dozentin nahm mich wieder beiseite, um mir zu sagen, dass alles auf Bewährungsstrafen hinauslaufen würde.
H ILDEBRANDT: Das wusste die schon?
E NSIKAT: Oh ja, zwei Wochen vor Verhandlungsbeginn schon. Im Grunde war es doch so, dass man eigentlich gar kein Gericht brauchte, keinen Rechtsanwalt. Wenn ein höherer Parteifunktionär etwas verbieten wollte, dann tat er das. Die Herrschaft der Partei war ja in der Verfassung festgeschrieben. Das gab’s bei euch natürlich nicht. Ihr hattet ja immerhin einen …
H ILDEBRANDT: Sprich das Wort ruhig aus!
E NSIKAT : … einen Rechtsstaat, so fragil der Begriff auch sein mag.
H ILDEBRANDT: In der Tat, den hatten wir. War das alles, das Verbot und was nach dem Mauerbau sonst noch geschah, eine Überraschung für dich?
E NSIKAT: Natürlich. Mein erster Gedanke, als ich vom Mauerbau hörte – nein, der zweite – war, dass wir jetzt vielleicht in unserer geschlossenen Anstalt endlich offener, kritischer miteinander umgehen könnten. Der erste Gedanke war ja, dass so eine Mauer gar nicht möglich ist in einer Stadt wie Berlin. Ich war nie das, was man einen gläubigen Kommunisten nannte, sondern ganz zu Anfang eher Antikommunist. Und fast immer das, was man in der DDR einen »unsicheren Kantonisten« nannte. Mein ganzer Marxismus bestand aus dem, was ich von Brecht gelernt habe. Und Tucholsky hat mich stark geprägt. Von dem habe ich damals einen Satz gelesen, über den ich zuerst erschrocken war und dann sehr gelacht habe: »Wenn schon Moskau, dann lieber gleich Rom.« Aber ich war auch von meiner Mutter geprägt. Für sie wäre es undenkbar gewesen, dass eines ihrer Kinder in die Partei eintritt. Das hatte mit meinem Großvater zu tun, dem Berufsberliner und hauptamtlichen Atheisten. Atheist war er sein Leben lang, aber die Parteien wechselte er immer mal. Bis 1932 SPD, dann KPD, um 1935 rum NSDAP, nach ’45 wieder KPD und schließlichSED. Meine Mutter sagte immer wieder: Werdet bloß nicht wie euer Großvater. Nein, die Partei kam für uns alle nicht infrage.
H ILDEBRANDT: Aber die hatte doch für euch immer recht.
E NSIKAT: Ich hatte da frühzeitig meine Zweifel.
H ILDEBRANDT: Aber so weit, dass du dir gesagt hast, das ist weder meine Partei noch mein Staat, das ist nicht mein Land, ich will hier raus – so weit ging es damals nicht?
E NSIKAT: Nein, raus wollte ich nur einmal kurz, als die Wehrpflicht eingeführt wurde. Das geschah direkt nach dem Mauerbau. Vorher war das für mich ein Argument, in der DDR zu bleiben: Wir hatten keine Wehrpflicht. Jetzt gab es sie plötzlich, und sie galt natürlich auch für mich. Da war ich ziemlich verzweifelt. Soldat wollte ich unter keinen Umständen werden.
H ILDEBRANDT: Wurdest du ja auch nicht. In den Westen bist du aber auch nicht gegangen.
E NSIKAT: Nein, bin ich nicht. Und weißt du, wem ich das zu verdanken habe, dass ich nicht zur Armee musste? Es war ein »OibE«.
H ILDEBRANDT: Ein was?
E NSIKAT: Das war eine Stasi-Funktion, »Offizier im besonderen Einsatz«. Es geschah alles ein bisschen später, als ich schon am Kindertheater war. Mein Intendant dort, Klaus Urban, war, wie ich viel später erfuhr, »OibE«. Und dem habe ich das zu verdanken. Ichmusste irgendwann zur Musterung, weil ich aber schon so alt war, ging es nicht mehr um den vollen Armeedienst, sondern nur um ein halbes Jahr. Aber auch das kam für mich nicht in Frage. Ich sagte ihnen, dass ich eher ins Gefängnis gehe, und rief nach der Musterung gleich den Urban an, weil der mein Chef war und bestimmt Ärger bekam,
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