Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
untrügliches Gefühl dafür, was zusammenpasst und was nicht. Er hat ja auch unser Ensemble zusammengebracht, indem er alle erst mal angelogen hat. Er sagte, der spielt mit, obwohl der noch gar nichts davon wusste. Und jener, der auch von nichts wusste, sollte auch dabei sein. Zum Schluss spielten alle mit, auch wenn man sich manchmal verblüfft fragte: »Wieso denn der oder die ?« Sammy hat alle belogen. Aber durch ihn haben wir ein Ensemble gehabt, das einfach passte.
E NSIKAT: Das sind so Leute, ohne die weltfremde Weltverbesserer wie wir niemals zu Rande kämen.
H ILDEBRANDT: Niemals! Im Kümmern um die Menschen, die mit ihm gearbeitet haben, war Sammy unerreicht. Als ich einmal nicht wusste, wie es weitergeht, ganz zu Anfang noch beim Studentenkabarett, hat er mich gerettet. Meine Frau Irene wurde schwanger, ich hatte kein Geld, mit dem Ensemble hatten wir uns zerstritten, da hat er mir ein paar Sprechrollen beim Bayerischen Rundfunk verschafft. Da verdiente ich mal sechzig Mark. Im Grunde verdiente damals meine Frau den Unterhalt als Sekretärin. Ich wusstenicht, wie es weitergehen sollte, weil wir schwanger waren. Das Kind sollte im November oder Dezember kommen, und wir hatten keine Wohnung. Wir wohnten bei einem Bäcker oben im vierten Stock neben Ingrid van Bergen. Die hatte auch so ein Zimmer. Sie war übrigens sehr hübsch und hatte einen neuen Liebhaber. Wir hörten immer genau, was sie gerade machten. Sie hatte nämlich einen neuen Plattenspieler und spielte dann, wenn es so weit war, immer eine Platte. So wussten wir stets, was geschah. Das war schon eine schöne Zeit – aber ein Kind zu bekommen, dafür war sie ungeeignet.
E NSIKAT: Und wann habt ihr eine Wohnung gefunden?
H ILDEBRANDT: Nach langem, verzweifeltem Suchen. Es war eine wunderschöne Dachwohnung, zwei kleine Zimmer mit einem kleinen Bad und einer winzigen Küche im fünften Stock, gerade noch in Schwabing, Augustenstraße. Himmlisch! Aber wir sollten eine Kaution zahlen – zweitausend Mark. Ich hab meinen Vater angerufen, der sagte: »Ich kann dir mit tausend Mark aushelfen. Mehr hab ich nicht.« Fehlten noch mal tausend. Tausend Mark sind viel, wenn man kein Einkommen hat. Eines Tages mach ich das Fenster auf, weil Sammy von unten gerufen hat. Da steht er mit seinem Volkswagen und sagt: »Komm runter. Wir müssen was erledigen.« Ich dachte, es ist irgendwas mit Fußball. War’s aber nicht. Wir fuhren zur »Quick«.
E NSIKAT: War das diese bunte Zeitschrift?
H ILDEBRANDT: Ja. Für die hatten wir in unserer Untätigkeitsphase einen Roman zusammenphantasiert. Über den Fußballspieler, der das Tor zum 3:2 geschossen hatte, Helmut Rahn. Die »Quick« hatte ihn uns aber nicht abgenommen, die haben ihn nicht gedruckt, und ich vermute, mit Recht. Sammy also ist da einfach ins Büro des Chefredakteurs gegangen; den kannte er. Sammy kannte überall einen. Von dem verlangte er für das nichtgedruckte Manuskript ein Ausfallhonorar und versprach irgendwelche neuen Texte. Als er wieder rauskam, legte er mir tausend Mark hin. »Das ist dein Anteil. Ich hab die andere Hälfte.« Wir bekamen die Wohnung, wir waren gerettet. Er hat bei solchen Sachen gar nicht mit der Wimper gezuckt. Wo er helfen konnte, hat er’s getan. Viele von uns können dir solche Geschichten von ihm erzählen. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Gespräch mit den Leuten vom »Kom(m)ödchen«. Die fragten Sammy: »Wie ist das eigentlich, wenn ihr Fernsehen macht?« – »Dann teilen wir uns die Gage«, antwortete Sammy ganz selbstverständlich. »Uns zahlt der Kai nur eine normale Abendgage.« Sammy war verschrien bei allen Chefs der Ensemblekabaretts. Er galt als sozialer Idiot. Aber so war er eben.
E NSIKAT: Ein Glücksfall.
H ILDEBRANDT: Ja, Sammy war für uns ein Glücksfall. Er war ein großes Organisationstalent. Das bisschen Schwindeln gehörte dazu.
E NSIKAT: Dass er fürs Kabarett brannte, konnte ich bei unserem einzigen Treffen gar nicht überhören. Übrigens bot er mir sofort an, dass ich auch für die »Lachund Schießgesellschaft« schreiben sollte. Ich sagte, dass ich das als DDR-Bürger nicht dürfe. Da meinte er: »Natürlich unter Pseudonym.« Hab ich auch abgelehnt, denn wenn das rausgekommen wäre – die Stasi hatte ja überall Informanten –, dann hätte ich Riesenärger bekommen. Auf jeden Fall hätte ich nicht mal mehr fürs DDR-Kabarett schreiben können, hätte mich ja als vom Klassenfeind käuflich erwiesen. Damals meinte ich noch, im
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