Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
ist es. Ich habe mich ja eigentlich gar nicht mehr für Fußball interessiert, allenfalls noch für »Eisern Union«. Die haben nämlich fast immer verloren gegen die großen Mannschaften. Ich hatte und habe immer was übrig für Verlierer. Aber das Tor von Sparwasser … Ich war noch am »Theater der Freundschaft«. Wir hatten gerade Premiere, »Don Quijote« von Bulgakow. Ich spielte den Ritter – das war dort meine letzte Rolle. Die Premiere war nachmittags. So kamen wir gerade noch rechtzeitig zum Anpfiff ins Foyer. Eigentlich waren wir darauf eingestellt, über unsere Mannschaft zu lachen. Die konnten einfach nicht gewinnen gegen die westdeutschen Profis. Und mit Sparwasser passierte dann der große Sinneswandel. Wir sprangen auf, haben uns umarmt und waren plötzlich, für dieses eine Spiel, richtige DDR-Patrioten.
AUS DEM LEBEN EINES REISEKADERS
H ILDEBRANDT: Du warst doch das, was man in der DDR »Reisekader« nannte. Du durftest raus, vor allem nach Belgien, oder?
E NSIKAT: Ja, ausgerechnet in Belgien war ich am häufigsten. Fast jedes Jahr für ein, zwei Monate. Während der Weltfestspiele 1973 in Berlin gab’s nicht genug Dolmetscher. Ich behauptete, ich könne Französisch, obwohl ich nur das bisschen aus der Schule wusste. Sie haben mich dann eine belgische Theatertruppe betreuen lassen. Und als die eine Inszenierung von mir sahen, fragten sie mich, ob ich nicht bei ihnen inszenieren wollte. Und ich sagte: »Na klar!«
H ILDEBRANDT: Und glaubtest, dass das was wird?
E NSIKAT: Natürlich nicht. Aber der Chef dieses Theaters war Mitglied der Kommunistischen Partei Belgiens. Über die muss das gelaufen sein. So kam es, dass ich zehn Jahre lang jeweils eine Inszenierung in Brüssel machte und so auch langsam Französisch lernte.
H ILDEBRANDT: In Brüssel wurdest du zum Mann von Welt.
E NSIKAT: Aber wie! Du erkennst das schon an meinenSprachkenntnissen. Ich spreche eine Art belgisches Kneipenfranzösisch, denn wenn wir nicht probierten, saßen wir, die Schauspieler und ich, oft in Kneipen und diskutierten über die Arbeit, über Gott und die Welt. Meine erste Inszenierung war zugleich Skandal und Erfolg. Es war meine Bühnenfassung von Andersens »Schweinehirt«. Die katholischen Elternverbände protestierten, weil sie Stück und Inszenierung nicht »kindgerecht« fanden. Die hatten einen großen Einfluss damals, konnten sich aber in dem Fall nicht durchsetzen. Jedenfalls hab ich dann zehn Jahre lang je eine Inszenierung in Belgien gemacht, immer auf der frankophonen Seite. Vorher war ich schon mit dem »Theater der Freundschaft« zu vielen Gastspielen in halb Europa, auch in der Bundesrepublik.
H ILDEBRANDT: Du durftest raus, weil du Theater gemacht hast.
E NSIKAT: Kindertheater. Die Welt des Kindertheaters ist ähnlich klein wie die der Kabarettisten, nur dass wir dort nicht auf den deutschen Sprachraum angewiesen waren. Man kannte sich, ob es sich um Australier, Kanadier oder Europäer handelte. Auf verschiedenen Festivals lernte ich tausend Leute kennen, die ich dann oft privat oder als Gäste des Theaters zu mir nach Berlin einlud. Meine Familie durfte ja nie mit, blieb sozusagen als Faustpfand zurück. Aber zu uns kamen dann Leute, die ich draußen kennengelernt hatte, privat zu Besuch. So erfuhr meine Familie wenigstensetwas von dem, was ich draußen erlebt hatte. Es war ja ohnehin belastend, dass ich reisen durfte, meine Frau aber nicht. Ich habe zwar oft gesagt: »Ich muss da nicht hinfahren. Wenn du willst, bleibe ich hier.« Aber sie hat dann natürlich immer widersprochen, wollte mir keine vermeintliche Chance verderben. Aber im Grunde haben wir nie wirklich offen darüber geredet. Beide nicht.
H ILDEBRANDT: Die DDR hat sich halt für das Paradies gehalten und jeden davor geschützt, dieses Paradies zu verlassen und sich draußen ins kapitalistische Unglück zu stürzen. Wer uns verlässt, den nehmen wir nie wieder auf!
E NSIKAT: Ich hab auch möglichst wenig von meinen Westreisen erzählt. Man wurde um dieses Privileg von allen, die es nicht hatten, beneidet oder sogar verdächtigt, man sei von der Stasi oder irgendwie anders von Staats wegen geschickt.
H ILDEBRANDT: Und was haben die Belgier von dir gedacht?
E NSIKAT: Die hielten mich sowieso für einen Kommunisten, weil sie es fast alle selbst waren. Wenn ich dann sagte, dass ich es nicht sei, wunderten sie sich. Ich habe ihnen dann gesagt, wovon ich heute noch überzeugt bin: In Belgien oder einem vergleichbaren Land wäre ich
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