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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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sein konnte, weil ich eben sehr oft unterwegs war. Wenn ich heute aber da bin, dann verreise ich eigentlich immer mit ihnen. Also bin ich noch weniger zu Hause. Das ist doch auch ein Opfer, oder?
    E NSIKAT: Ich fürchte, du stellst dich hier ein bisschen falsch dar. Du warst immer ein treusorgender Vater und Ehemann. Du hast deine Kinder nie vernachlässigt.
    H ILDEBRANDT: Stimmt. Aber man hat doch ununterbrochen ein schlechtes Gewissen. Oder leidest du etwa nicht unter schlechtem Gewissen? Wenn du dich als Freischaffender irgendwo mal so richtig wohlfühlst, sagst du dir doch sofort: Ich muss aber gleich wieder an die Schreibmaschine!
    E NSIKAT: So gesehen habe ich immer ein schlechtes Gewissen, auch wenn ich an der Maschine sitze, aber nichts zustande bringe. Oder nur einen halben Satz, der dann auch noch schlecht ist und den ich deshalb gleich wieder wegwerfe.
    H ILDEBRANDT: Dieses Wegschmeiß-Talent habe ich auch. Und dann fällt einem irgendwann ein, dass der halbe Satz gar nicht so schlecht war.
    E NSIKAT: Aber dann ist es zu spät. Du findest ihn nie wieder.
    H ILDEBRANDT: Doch, manchmal schon. Wenn ich das Gefühl habe, hier würde er genau reinpassen, fällt ermir manchmal wieder ein, obwohl ich ihn eigentlich vergessen hatte. Das schlechte Gewissen jedenfalls hast du auch. Das tröstet mich.
    E NSIKAT: Aber wie ich das hab. Jeden Tag wieder.
    H ILDEBRANDT: Zum Glück hat der Mensch aber immer wieder die Möglichkeit, sich irgendwie selbst zu helfen. Auch wenn es ganz schlimm kommt – da ist etwas Hilfreiches eingebaut. Ich hatte das ja schon gesagt – diesen Schock, den mir der Krieg versetzt hatte, bin ich lange nicht losgeworden. Da half erst mal nur …
    E NSIKAT : … Verdrängen.
    H ILDEBRANDT: Das war auch so, als meine Frau Irene starb. Ich wusste, dass sie sterben würde, ich wusste es schon lange vorher, nur nicht den Zeitpunkt. Als der dann da war, setzte der Schock erst so richtig ein. Und der hat gedauert. Auch wenn du in der Zeit deinen Beruf weiter ausüben musst … Ich musste weiterarbeiten, hatte eine Sendung, eine »Scheibenwischer«-Sendung. Die Beerdigung war gerade vorüber, die Freunde hatten sich wieder verlaufen. Die Töchter blieben im Haus, haben mich unterstützt, haben dafür gesorgt, dass ich den zunehmenden Alkoholverbrauch wieder eingeschränkt habe. Ich musste ja vernehmungsfähig bleiben, musste mit ihnen über die Zukunft reden. Es fing ja für uns alle ein anderes Leben an … Aber dann musste ich nach Berlin, um die Sendung zu machen. Ich muss ein wenig von Sinnen gewesen sein. Denn ich bestand darauf, in einemschwarzen Jackett aufzutreten, was zu der Sendung überhaupt nicht passte, zu meinem Text überhaupt nicht passte. Sammy versuchte es mir auszureden, erfolglos. Ich bin in dieser Jacke aufgetreten. Kaum war ich draußen vor Publikum, vielleicht nach zwei, drei Minuten, da hab ich sie ausgezogen und nach hinten geworfen. Ich war eben nicht bei Trost, war nicht bei mir. Das dauerte viele Monate lang, bis ich dann ganz langsam wieder zu mir kam. Das ist dann der Kopf, der sich selber hilft. Irgendwann findest du wieder zum eigenen Willen.
    E NSIKAT: Ich glaube aber, dass es sogar hilfreich sein kann, wenn man gezwungen ist, etwas zu tun, das einen irgendwie ablenkt. Dass man gar keine Zeit hat, sich seinem Schmerz so richtig hinzugeben. Das genau fehlte mir zur Zeit meiner Scheidung. Ich hatte keinerlei Termine, keine Proben, keine Vorstellung. Also saß ich zu Hause und versuchte krampfhaft zu schreiben. Natürlich gelang mir kein einziger Satz. Es gab für mich in dem Moment nichts, weshalb ich morgens überhaupt aufstehen sollte.
    H ILDEBRANDT: Das ist gefährlich.
    E NSIKAT: Es hätte mir, vermute ich, sehr geholfen, wenn ich vor einer Premiere gestanden hätte oder ein Stück hätte inszenieren müssen. Aber gerade in der Zeit war ich so frei, wie man es normalerweise gern mal wäre.

MAUER HER, MAUER HIN

    E NSIKAT: Ich behaupte, die Mauer war, auch wenn sie vom Osten gebaut wurde, ein gesamtdeutsches Bauwerk.
    H ILDEBRANDT: Aber selbstverständlich. Nur – das kam erst später raus.
    E NSIKAT: Auf jeden Fall war dieser Mauerbau für euch im Westen ein großes Thema im Kabarett. Ich war zu der Zeit noch Student an der Schauspielschule in Leipzig und habe nicht glauben wollen, dass man eine Stadt wie West-Berlin einfach ringsrum zumauern könnte. Konnte man aber. Zum Thema Mauerbau habe ich dann im »Distel«-Archiv nur einen einzigen Text gefunden, ein

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