Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
hättet wenigstens zwei, drei Jahre gebraucht für den Übergang zur Marktwirtschaft. Die schnelle D-Mark hat dann der DDR-Wirtschaft den letzten Stoß versetzt. Von der Treuhand rede ich gar nicht.
E NSIKAT: Aber auf den Straßen in Ost-Berlin wurde ganz anders geredet. Da sollte alles – Währungsunion und Anschluss – von heute auf gestern geschehen. Und der Kohl hat schließlich fast alles so gemacht, wie die dummen Ossis es verlangten, damit sie ihn wählen. Für den Schaden musste er ja nicht aufkommen. Er trug nur die Verantwortung vor der Gechichte . In besagter Sendung jedenfalls musste ich als Erster auf die Bühne, wie gesagt, mit einer weißen Fahne, und versicherte erst mal: »Ich bin es nicht, und ich war’s auch nicht.« Das verstanden alle.
H ILDEBRANDT: Das passte genau in die Situation.
E NSIKAT: Keiner wollte mehr der sein, der er als mehr oder weniger braver DDR-Bürger gewesen war. Selbst Mielke spielte im Gefängnis den armen Irren, der sich an nichts mehr erinnern konnte. Das Problem war ja damals für uns, dass natürlich keiner die DDR wiederhaben wollte, aber die Bundesrepublik, so wie sie war, eben auch nicht.
H ILDEBRANDT: Das kann ich mir vorstellen. Wir hatten euch ja auch oft genug vor den Nachteilen gewarnt.
E NSIKAT: Wir hatten noch die Illusion, dass nach dem Zusammenbruch der DDR vielleicht etwas Neues entstehen könnte, das wir gemeinsam herauszukriegen versuchten: Was ist bei euch gut, was war vielleicht auch bei uns gut? Aber ein Federstrich genügte, um aus der DDR das zu machen, was Reagan zwei Jahre zuvor am Brandenburger Tor verkündet hatte: das »Reich des Bösen«. Dem widersprachen wir. Schon in meinem Eingangssolo merkte ich, wie ein Aufatmen durch die Reihen ging, weil ich eben gegen die allgemeine Stimmung auf der Straße sprach. Die Leute waren regelrecht begeistert, und zwar so, dass ich meinen Text darüber vergaß, nicht mehr wusste, wozu ich hier überhaupt auf der Bühne stand – ein Gefühl, das wahrscheinlich jeder in unserer Branche kennt.
H ILDEBRANDT: Oh ja!
E NSIKAT: Ein Kollege, dem ich sicherheitshalber meinen Text gegeben hatte, rief ihn laut herein, sodass das Publikum ihn noch vor mir verstanden hat. Aber solche Pannen, wenn man offen damit umgeht, nimmt kein Publikum übel. Nach meinem Solo kam dann eine musikalische Nummer mit der Anfangszeile »Nun danket alle Kohl, der großen Tchibo-Bohne!«
H ILDEBRANDT: Mit der Melodie von »Nun danket alle Gott«?
E NSIKAT: Natürlich. Die Leute im Saal haben sehr gelacht, aber mein Pfarrersfreund aus Kühlungsborn rief mich einen Tag später an, um mir mitzuteilen, wie empört seine Gemeinde war, dass ich dieses heilige Lutherlied verballhornt hatte, ich, der ich doch oft genug zu DDR-Zeiten in der Gemeinde gelesen und da nie was Unchristliches geäußert hatte.
H ILDEBRANDT: Da taucht bei mir sofort das Bild von der Schlacht bei Leuthen auf, wo die wenigen Überlebenden, inmitten zahlloser Leichen, singen: »Nun danket alle Gott«.
E NSIKAT: Wir haben sehr oft Kirchen- oder Volkslieder benutzt, auch Opern- oder Operettenmelodien, die die Zuschauer aus anderem Zusammenhang kannten. Je größer die Fallhöhe zwischen dem Original und der Parodie, desto komischer war die Wirkung. Zu DDR-Zeiten haben wir mal das Kneipensterben am Elbufer in Dresden illustriert mit der Musik aus der Johannespassion »Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine«. Mit solchen großen Musiken kann man Wirkungen erzielen, die man mit dem reinen Text nie erreichen würde. Musik im Kabarett erscheint mir überhaupt ein ganz wichtiges Stilmittel zu sein, das leider immer mehr verlorengeht.
H ILDEBRANDT: Klaus Peter Schreiner hat mal den Unwillen der schlagenden Studentenverbindungen erregt, indem er textete: »Ich hab ein Ohr in Heidelberg verloren, ein Teil der Nase blieb in Bonn am Rhein«.
E NSIKAT: Die Vorstellung jedenfalls lief wie geschmiert, und als dann Wolfgang Gruner von den »Stachelschweinen« auftrat, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Den kannten ja alle aus dem Fernsehen. Ein anderer Gast war Jürgen Hart mit seinen »Academixern« aus Leipzig. Den kannte in Berlin kaum jemand, weil Satire im Ostfernsehen nicht vorkam. Er spielte mit seiner Partnerin eine sehr schöne Familienszene. Da stehen Vater und Mutter an der Gardine und beobachten die Nachbarn, die ihrer Meinung nach alle mal SED waren oder jedenfalls nicht so richtig dagegen. Unter dem sächsischen Motto: »Jetz’ bass’n wir uff!« Wenn einer auf den
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