Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
einer der Musiker plötzlich: »Meint ihr denn wirklich, die Stasi wird die ganze Sache durchgehen lassen?« Heiner Müller, der an den Treffen regelmäßig teilnahm, meinte trocken: »Wir können sie ja fragen. Die sitzt mit am Tisch.« Im Grunde war uns allen klar, dass da mindestens einer unter uns war. Aber das interessierte uns nicht sonderlich.
H ILDEBRANDT: Ihr wusstet oder ahntet zumindest, wer das war?
E NSIKAT: Überhaupt nicht. Später stellte sich heraus, wer’s war. Ein ziemlich runtergekommener Musiker, von dem das keiner erwartet hätte. Ich bin mir aber sicher, dass er nicht der Einzige war. Nur hatten wir vor denen eben keine Angst mehr. Wir waren fest entschlossen, Stalins Geburtstag in diesem Jahr zum Anlass für unsere Protestveranstaltung zu nehmen. Heiner Müller sagte dann ganz ernst: »Ob unsere Veranstaltung stattfindet oder nicht, ist für mich gar keine Frage mehr. Die Frage ist, ob es die DDR im Dezember überhaupt noch gibt.« Wir starrten ihn an wie einen Außerirdischen. Dann sagte er noch, die DDR käme ihm im Moment so vor wie ein Englisch-Anfänger, der zum Kellner sagt: »I become a Beefsteak.« Darüber haben wir ziemlich verwirrt gelacht. Als die Veranstaltung am 12. Dezember 1989 im »Berliner Ensemble« wirklich stattfand, waren wir, auch wenn wir das noch nicht wahrhaben wollten, längst zumBeefsteak geworden. Und das Publikum im Saal war auch nicht mehr dasselbe wie ein paar Wochen zuvor. Aus der verschworenen Publikumsgemeinschaft, die bis dahin noch immer die Antihaltung gegen »die da oben« vereint hatte, waren unterschiedlich reagierende Gruppen geworden. Es gab an dem Abend zwar viel Beifall, aber auch den einen oder anderen Buhruf.
MIT DEM ZENSOR AUF DU UND DU
H ILDEBRANDT: Lass uns über Zensur sprechen. Da hast du sicherlich etwas mehr Erfahrungen machen dürfen als ich.
E NSIKAT: Das kann schon sein. Allerdings sprach man auch in der DDR niemals von »Zensur«. Nie hat sich ein Zensor dazu bekannt, dass er Zensor war. Das waren immer Menschen, die uns »freundschaftliche Ratschläge« erteilten.
H ILDEBRANDT: Sie wollten immer nur dein Bestes!
E NSIKAT: Genau. Aber es hat sich gewandelt. In den sechziger Jahren, als ich anfing mit dem Kabarett, da lautete das Hauptargument der Zensoren: »Aber das stimmt doch gar nicht! Ihr müsst das Wesentliche sehen!« In den Achtzigern, gegen Ende der DDR, hieß es dann: »Natürlich stimmt das, was ihr sagt. Und gerade deshalb darf man es nicht sagen!« Nur keine schlafenden Hunde wecken.
H ILDEBRANDT: Na, das kann man gut verstehen. Eure Rolle in der DDR war natürlich eine sehr andere als die unsere. Ob nun zu Recht oder zu Unrecht – ihr solltet schließlich auch diesen Staat verkörpern. Das heißt …
E NSIKAT : … Teil dieses Staates sein.
H ILDEBRANDT: Ihr habt euch ja untereinander wie Freunde geduzt, ihr wart Genossen. Ihr wurdet als solche angesprochen. Und wart eigentlich dem System verpflichtet, als Helfende. Wenn dann jemand zu dir kommt und sagt: »Du hilfst diesem Staat nicht, wenn du das jetzt sagst«, dann müsstest du als treusorgender Anhänger dieser DDR sagen: »Du hast recht, Genosse.«
E NSIKAT: Wir mussten jedenfalls so tun, als ob. Aber du musst wissen, unter den Kabarettisten gab es sehr wenige Genossen. Trotzdem waren wir gezwungen – und das trifft genau, was du eben gesagt hast –, immer »wir« zu sagen. Wir mussten immer sagen: » Wir machen den Fehler.« Niemals: » Die machen den Fehler.« Aus unserer damaligen Sicht war das idiotisch. Inzwischen frage ich mich, ob das »Wir« nicht doch das Richtigere war und ist. Am Zustand dieser Welt sind wir schuld und nicht nur die da oben . Aber nachdem wir jetzt auch »die« sagen dürfen, sage ich immer öfter »wir«.
H ILDEBRANDT: Ich bin vollkommen deiner Meinung. Mein Programm, das ich im Moment spiele, heißt ja auch »Ich kann doch auch nichts dafür«. Natürlich kann ich was dafür. Wir können alle was dafür. Ich wollte jetzt nur auf den Unterschied der Kritik zu sprechen kommen. Wir im Westen waren eben nie verpflichtet, irgendeiner Partei anzuhängen oder irgendeiner Idee. Es konnte einer Anti-Kapitalist sein, oder er konnte Pro-Kapitalist sein, selbst wenn er gar nicht wusste, was das Kapital eigentlich ist.
E NSIKAT: Es gab in der DDR eine Definition von Satire: »Wir sind eine scharfe Waffe im Klassenkampf. Und nehmen lachend Abschied von den Fehlern der Vergangenheit.«
H ILDEBRANDT: Ha! Das ist gut!
E NSIKAT: Das
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