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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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heißt: Wir können über alles lachen, was hinter uns liegt. Was vor uns liegt …
    H ILDEBRANDT: Ja! Da steckt die Pointe dieser Formu …, dieser Offenbarung. Die habt ihr natürlich benutzt und habt es einfach todernst erzählt, und daraufhin gab’s dann einen großen Lacher, oder?
    E NSIKAT: Oh nein!
    H ILDEBRANDT: Nicht?
    E NSIKAT: Ganz unmöglich. Das wär nicht gegangen.
    H ILDEBRANDT: Ich hätte es sofort so gemacht. Und ich wette, das wäre der größte Lacher des Abends gewesen.
    E NSIKAT: Wenn es zugelassen worden wäre. Du musstest ja erst durch die Zensur. Du konntest nicht einfach auf die Bühne gehen und mal was sagen.
    H ILDEBRANDT: Aber du zitierst sie doch nur selbst. Du sagst doch nur das, was sie euch aufgeschrieben haben.
    E NSIKAT: Aber selbstverständlich durfte man auch das nicht wiederholen. Um das zu verstehen, musstdu diese DDR-Erfindung kennen. Sie hieß »positive Satire«.
    H ILDEBRANDT: »Wo bleibt das Positive, Herr Kästner?«
    E NSIKAT: Genau. Eigentlich ist das uralt. Das ist die sogenannte »positive Kritik«, die da gefordert wird. Wir kritisieren, um zu verbessern. Allerdings konnten wir ja nur das Gute verbessern. Denn gut war die DDR ja von vornherein. Während ihr gesagt habt, etwas sei schlecht, sagten wir: »Es muss noch besser werden.« Ich habe mal diesen Text geschrieben, »Dialektisch for you«, in dem es heißt: »Den schönen Seiten unseres Lebens begegnen wir alltäglich im Nahverkehr, im Konsum und im Betrieb. Den sehr schönen in Presse, Film und Fernsehen.«
    H ILDEBRANDT: Eine schöne Welt, in der ihr da gelebt habt!
    E NSIKAT: Und ob. Oder eine Clownszene, wo die beiden Clowns darüber verhandeln, wie schön alles ist, so schön, dass man’s gar nicht mehr ertragen kann. Dann zitiert einer Goethe: »Ein Sumpf zieht am Gebirge hin.« Sagt der andere: »Was heißt hier ›zieht‹? Goethe hat gesagt: ›zieht‹. Bei uns muss es heißen: ›zog‹ – ›Ein Sumpf zog am Gebirge hin.‹ Denn kritisieren darf man nur das, was war.«
    H ILDEBRANDT: Habt ihr wirklich genau so gesagt?
    E NSIKAT: Ja, natürlich. Das war eines unserer Hauptthemen in den Achtzigern. Das betraf hauptsächlich diese plump geschönte Selbstdarstellung der DDR.Ich glaube, es gab kaum etwas, das der DDR mehr geschadet hat als ihre Selbstdarstellung, von der jeder wusste, sie ist falsch, sie ist gelogen. Der Irrtum war, dass wir meinten, dass auch die Propaganda über den kapitalistischen Westen durch und durch verlogen sei. Was für eine Enttäuschung dann, als man merkte, dass es da wirklich einen Kapitalismus gab. Und zwar einen, der dem Parteilehrgangs-Kapitalismus verdammt ähnlich sah.
    H ILDEBRANDT: Wie blöd!
    E NSIKAT: Es war das Werbefernsehen, das das Bild von der Bundesrepublik geprägt hat. Das war die politischste Sendung überhaupt. Denn wenn Politsendungen des Westfernsehens, »Panorama« oder »Report«, von Arbeitslosen berichteten oder von Korruption, haben wir’s doch nicht geglaubt. Das klang ja fast wie »Alltag im Westen«, die Propagandasendung des DDR-Fernsehens.
    H ILDEBRANDT: Aber das kam so in eurem Kabarett nicht vor.
    E NSIKAT: Selbstverständlich nicht! Aber wenn man über Zensur spricht, muss man auch über das Publikum sprechen. Unser Publikum hat immer mit uns mitgedacht. Das musste es bei euch nicht, weil ihr klar ausgesprochen habt, was ist. Bei uns gab es diese stille Übereinkunft mit dem Publikum: Ihr wisst, was wir nicht sagen dürfen, und wir wissen, worüber ihr trotzdem lacht. Das war ja auch eine gegenseitige Mutzuweisung. Wir oben waren stolz darauf, dass wir etwas gesagt haben, auf unseren Mut. Und die unten waren stolz auf ihren Mut, dass sie darüber gelacht haben. Und dass sie’s auch verstanden haben – im Gegensatz zum dummen Zensor, der es nicht verstanden hat.
    H ILDEBRANDT: Hat er wirklich nicht?
    E NSIKAT : Natürlich hat auch er es verstanden. Aber hin und wieder konnte er es nicht begründen, wieso er das verbieten sollte. Und das Publikum hat sich gefreut …
    H ILDEBRANDT : … und saß vorn auf der Stuhlkante …
    E NSIKAT : … um auf keinen Fall etwas zu verpassen. Weil die Witze bei uns versteckt waren. Je versteckter, desto schöner. Das machte einen großen Reiz aus. Manchmal kamen Westler zu uns, und die staunten über irgendwelche regimekritischen Anmerkungen, die bei uns ein alter Hut waren, die jeder sagte, aber diese versteckten Anspielungen, über die nur die Ostbürger lachen konnten, weil die wussten, was

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