Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
der Zukunft.«
H ILDEBRANDT: Große Worte!
E NSIKAT: Drunter machte der’s ja nicht. Aber hier passte es natürlich, und ich hatte ein starkes Zitat. Es wurde ein sehr munterer Nachmittag, nach und nach waren alle Beklemmungen weg, jeder machte sich irgendwie Luft. Da war ein Journalist, der erzählte, er habe dasGefühl, er klebe überall, weil er nur Lügen verbreiten müsse. Irgendjemand holte dann den Botschafter, der bis dahin nicht dabei gewesen war, um die Sache in geordnete Bahnen zu bringen. Der kam und merkte, was hier gerade geschah, und sagte schließlich nur noch: »Aber es ist doch nicht alles schlecht in der DDR.« Das war so ein Moment. Eigentlich hätte er da schon sagen können: »Es war doch nicht alles schlecht.«
H ILDEBRANDT: Aber dass so ein Land an ein Ende kommt, dazu braucht’s schon etwas mehr, oder?
E NSIKAT: Es war einfach unvorstellbar, dass die Russen uns aus ihrem Machtbereich entlassen würden. Auch von Gorbatschow erwarteten wir ja nicht, dass er die DDR aufgeben würde. Und – ehrlich gesagt – der Westen machte auch nicht gerade den Eindruck, besondere Sehnsucht nach uns zu haben. Glasnost und Perestroika auch in der DDR, das war das höchste der Gefühle für uns, eine deutsche demokratische Republik, die diesen Namen verdient hätte. Es gab übrigens auch innerhalb der Partei viele, die ähnlich dachten. An Anzeichen für gewisse Lockerungen hatte es in der letzten Zeit ja nicht gefehlt.
H ILDEBRANDT: Dass die Partei plötzlich ihre Liebe zu Preußen entdeckt hat und sogar den Alten Fritz wieder aus der Verbannung geholt hat, darüber haben wir im Westen – entschuldige das harte Wort – gelächelt.
E NSIKAT: Nach vorn konnten sie nicht mehr schauen, da guckten sie eben zurück.
H ILDEBRANDT: Als brauchten sie ein neues Bühnenbild, um jetzt ein ganz anderes Stück zu spielen.
E NSIKAT: Es ging ihnen wohl um eine Art Identitätsstiftung. Denn wir waren ja von der Nationalität her seit 1967 »DDR-Bürger« und nicht mehr Deutsche. Jetzt merkten sie, dass da etwas fehlte. Was ist denn das: ein Bürger der DDR?
H ILDEBRANDT: Na jemand, der schlechter als die anderen behandelt wurde, wenn er in den Ferien im Ausland war.
E NSIKAT: Weil er kein Westgeld hatte. Ich erinnere mich genau an den Augenblick, in dem ich West-Verwandte bekam. Es war der Tag, an dem in der Bundesrepublik die D-Mark eingeführt wurde. Menschen mit West-Mark waren West-Verwandte.
H ILDEBRANDT: Und ein DDR-Bürger war ein Deutscher ohne Westgeld.
E NSIKAT: Und da kann so ein bisschen Preußentum dem geschundenen Selbstbewusstsein vielleicht helfen. Sogar Bismarck wurde plötzlich stubenrein. Mit der Bismarck-Biographie von Ernst Engelberg begann bei uns endlich eine Geschichtsschreibung, die den Namen verdiente.
H ILDEBRANDT: Am aufregendsten fand ich damals das Buch von Walter Janka »Schwierigkeiten mit der Wahrheit«. Das enthielt doch Dinge, die bis dahin keiner wissen wollte.
E NSIKAT: Ziemlich bittere Wahrheiten. Für mich war imGrunde schon die »Ästhetik des Widerstands« von Peter Weiss das Eingeständnis, dass dieses System an sein Ende gekommen war. Das ist 1983 in der DDR erschienen. Aber noch mal zu den tausend Zeichen, dass sich etwas bewegte, Ende der Achtziger. Überall versammelten sich damals Leute in kleinen Kreisen, um frei zu diskutieren. Ich weiß nicht, wie viele solcher Montags-, Dienstags- oder Freitagskreise es allein in Berlin gab. Ich gehörte damals zu einer Gruppe von Künstlern und Schriftstellern, die eine Veranstaltung zu Stalins 110. Geburtstag im »Berliner Ensemble« vorbereitete. Die stalinistischen Strukturen waren in der DDR ja nie wirklich infrage gestellt worden.
H ILDEBRANDT: Da ist so ein 110. Geburtstag ein schöner Anlass.
E NSIKAT: Wir trafen uns unregelmäßig zu vorbereitenden Gesprächen mal in der Dramaturgie eines Theaters, mal in irgendwelchen Klub- oder Privaträumen. An eines dieser Treffen kann ich mich besonders gut erinnern. Das war im April ’89 in der Dramaturgie des Gorki-Theaters. Auch der Intendant des Theaters nahm daran teil – Albert Hetterle. Der war ein hochangesehener Altkommunist. Der Riss ging inzwischen längst durch die ganze Gesellschaft. Auch viele Genossen, sogar einige Funktionäre waren auf unserer Seite. Unsere Zusammenkünfte waren zwar halb illegal, man rief sich jeweils an, um das nächste Treffen zu vereinbaren. Aber Angst vor Staat und Stasi hattenwir längst nicht mehr. Auf dieser Zusammenkunft fragte
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