Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)
sich zöge. Man muss ja auch keinen Alkohol trinken, obwohl er frei zugänglich ist, man muss kein Fleisch essen und keine Kinder schlagen, geht alles, wenn man seine Moralvorstellungen ausschließlich auf sich selber anwendet.
Diese Torheit der Menschen, sich ins Leben anderer einzumischen, ist ein Witz mit katastrophalen Folgen für die Welt, der natürlich viele sehr reich macht. Armee, Waffenhersteller, Bürgermeister, Präsidenten. Und natürlich helfen Drogensüchtige uns, uns sauberen, guten, überlegenen Menschen, die wir mit erregter Erregung Drogenopfer, Süchtige und sich Prostituierende betrachten oder benutzen. Legalisiert Drogen. Macht dem Mist ein Ende. Man kann die Menschen nicht vor sich selber schützen. Man kann sie nur freundlich betrachten und sein eignes Leben überdenken. Das sei das Gesetz.
Man muss doch Kritik
ertragen können, oder?
Ertragen können Sie alles, Sie haben doch hoffentlich gedient und gelernt, was Schmerz bedeutet. Der kollektive Anspruch an eine Person, Kritik gelassen lächelnd auszuhalten, ist ohne nähere Untersuchung absurd. Ist eine Floskel wie »der gesunde Menschenverstand«, der als Rechtfertigung für Kritik gerne zitiert wird. In den meisten Fällen ist das, was eigentlich einmal »Kunst der Bewertung« meinte, zu einer Äußerung der Wut des Kritikers verkommen, darüber, dass es außer ihm noch andere Menschen auf der Welt gibt. Fürwahr, eine ekelhafte Vorstellung. Ein Mensch, der man nicht selber ist, neigt dazu, Dinge anders zu handhaben als man selber. Bedenken wir, dass jeder Mensch davon überzeugt ist, das einzig richtige Leben zu führen, kann man ihm seine Wut nicht verdenken.
Kritik beginnt im kleinsten öffentlichen Bereich, der Familie. Man kritisiert seinen Partner, die Socken, den Staub, die Einschlafhaltung, erweitert den Kreis auf den Nachbarn, die Blumenrabatte, die Kinder, das Grillen. Und dann gibt es kein Halten mehr. Man meckert (Wie elegant ich »kritisiert« ersetzt habe, nicht wahr?) über den Bekleidungsstil Fremder, über ihr Aussehen, die Religion, Tierhaltung, Mülltrennung, Eheführung; man kritisiert die sexuellen Präferenzen anderer Menschen, und natürlich kritisiert jeder sämtliche Politiker, weil man es doch viel, viel besser könnte. Fußballspielen könnten auch alle besser. Und Künstler, meine Güte, die Künstler, leben von unseren Steuergeldern (wann immer jemand in Ihrer Gegenwart einen Satz mit: »unsere Steuergelder« bildet, laufen Sie möglichst schnell weg, Sie haben es mit einem Frustrierten zu tun) und tanzen auf den Tischen.
Sicher, es gibt konstruktive Kritik, die ich aber bei der kolossalen Abgelutschtheit des Wortes nicht mehr so nennen möchte. Überlegte Kommentare von Lehrpersonen, von Professionellen und Freunden würde ich unter Hilfestellung zur Weiterentwicklung einordnen. Öffentliche Kritik, wie wir sie in Internetforen pflegen, auf Leserbriefseiten, Blogs und in Diskussionsrunden sehen – wenn wir uns über irgendetwas ärgern, meist über unser Leben –, hat damit nichts zu tun. Diese Form des öffentlichen Kundtuns dient meist nur der schnellen Frustbewältigung. Vielleicht gibt es bezahlte Kritiker, die wunderbares Fachwissen in den Medien offenbaren, wer weiß. Es gibt auf jeden Fall Regeln für den wohltuenden Umgang mit Kritik. Wann immer sie Ihnen begegnet, fragen Sie sich: Kennt der Mensch, der mich hier hinterfragt oder lobt, mich und meine Absichten? Ist er mir wohlgesonnen? Liegt ihm in altruistischer Art daran, dass ich mich weiterentwickle? Verfügt er über eine Fachkompetenz, die ich akzeptiere? Wenn Sie eine der Fragen mit ja beantworten, dann überlegen Sie sich, ob es Ihnen zu einem besseren Leben verhilft, ob es Sie zu einem besseren Menschen werden lässt, wenn Sie den Rat befolgen. Trifft keine der Fragen auf eine positive Antwort, sollten Sie immer daran denken: Es steht jedem frei, Sie zu kritisieren, aber Ihnen steht es auch frei, ihn zu ignorieren.
Es ist schrecklich,
warum habe ich immer Angst?
Ich könnte mich und Sie jetzt zu Tode langweilen, indem ich Ihnen von der evolutionären Notwendigkeit der Angst erzähle. Ich kann Ihnen sagen, dass Sie in einem Land leben, das Ende des 18. Jahrhunderts ein Ausbildungssystem erfand, das auf Bestrafung und Angst basierte. Dass es darauf eine Menge Kriege gab und dass nach dem letzten verlorenen ein bestraftes Volk übrigblieb, das alles tat, um nicht mehr unangenehm aufzufallen, um nicht erneut bestraft zu werden. Wie
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