Wie ich Brad Pitt entführte
Gleiche hat Linda auch gesagt. »Das liegt doch nur daran, dass man sich nicht mehr die Mühe macht, es zu versuchen.«
Ich stecke Tom eine neue Portion Nudeln in den Mund und monologisiere weiter. »Emotionaler Koitus interruptus. Man nimmt sich einfach nicht mehr die Zeit für Gefühle: Wer guckt sich denn heute noch den Abspann im Kino an? Eben. Niemand! Dabei kommt da immer die schönste Musik! Wer schreibt seinem Freund oder seiner Freundin einen langen Brief? Wer bringt einem geliebten Kranken einen Teller Suppe? NIEMAND!«
Er zuckt mit den Schultern, so, als ob ihn das alles nichts anginge. Dabei müsste doch gerade er genauso fühlen. Aufgeregt raufe ich mir die Haare. Er muss einfach verstehen, warum mir das alles hier so wichtig ist.
»Jeder wartet doch nur auf den ultimativen emotionalen Kick, alles andere wird ausgeblendet. Wer arbeitet denn heute noch seine zerbrochene Beziehung auf, wenn man bei parship.de oder onenightstand.com schon nach seinem nächsten Lebensabschnittsgefährten fahnden kann? Wir betrügen uns um unsere wirklichen Gefühle, immer auf dem Sprung zu den nächsten Emo-Highs.« Ich atme tief durch. »Aber bei uns wird das anders sein. Ich werde ganz für dich da sein.«
Tom hustet, verschluckt sich an seinen Nudeln. Ohne mich anzusehen, murmelt er etwas, das wie »Echt nett von dir!« klingt.
Gott sei Dank, er versteht mich. Liebevoll beobachte ich ihn, wie er gedankenverloren an die Decke starrt. Wie süß, genauso sieht er immer aus, wenn er am Ende jeder »Südstadt«-Folge an Madeleine und ihre gemeinsame Zeit denkt. Alles ist wie im Fernsehen. Ich kuschele mich versonnen an seine Brust, die Handschellen klappern ein wenig an dem skandinavischen Hartholzbettpfosten. Es ist zu schön, um wahr zu sein.
»Du?«
»Ja?«, antworte ich ihm genießerisch. Wenn ich eine Katze wäre, würde ich schnurren.
»Ich genieße das hier wirklich wahnsinnig, aber ihr wisst, dass ich morgen drehen muss!«
»Nein, Tom, damit ist vorerst Schluss, wir müssen jetzt an deine Gesundheit denken. Ich habe dem Sender schon eine anonyme Mail geschickt, in der steht, dass du für die nächsten Wochen unabkömmlich bist.«
»Bitte?«, seine Stimme kiekst etwas. »Das könnt ihr doch nicht mit mir machen, langsam müsstet ihr doch genug Material im Kasten haben.«
Was redet er denn da schon wieder? Gott! Verdammte Drogen!
»Glaub mir, du bist bei mir in den allerbesten Händen. Ich habe ›Der Entzug zuhause – eine Anleitung‹ und ›Cold Turkey – made easy‹ praktisch auswendig gelernt. Du brauchst keine Angst zu haben, da kann nichts schiefgehen. Lass dich einfach fallen!«
Aber Tom lässt sich nicht beschwichtigen.
»So, Liebelein, jetzt reicht’s! Cut! Genug versteckte Kamera. Ich geh hier und jetzt nach Hause! Mach die auf der Stelle ab.« Ungehalten zerrt er an den Handschellen.
»Kameras? Du kannst ganz beruhigt sein. Ich habe hier keine Videoüberwachung. Wir sind ganz allein. Keiner wird dich schwach sehen«, versuche ich, auf ihn einzugehen.
Sein Gesicht nimmt eine unschöne rote Farbe an. »Meinst du den Schwachsinn hier etwa ernst??«
»Ja, aber natürlich. Ich würde dich doch nie verarschen!«
»Du meinst, hier springt jetzt nicht gleich das gesammelte Kamerateam aus dem Schrank, und irgendein abgehalfterter Showmaster drückt mir eine Flasche Champagner ins Gesicht und schreit: ›Erwischt!‹«
Er blickt mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich bin sprachlos. So schlimm habe ich mir seine Halluzinationen nicht vorgestellt. Statt einer Antwort umarme ich ihn wortlos mit gleichmäßig festem Druck.
Leider nicht mit dem gewünschten Resultat. Unwirsch zuckt er in meinen Armen.
»Du schwachsinnige Ziege! Beknackte Nuss! Aus der Zauber! Bind mich los! Ich hab was Wichtigeres zu tun, als mich mit so ’ner durchgeknallten Tusse abzugeben.«
Ich atme tief durch. Keine Panik, keine Wut. Süchtige meinen das nicht so. Auf Seite 76 bei »Entzug: Der Alternative Weg« kann man lesen, dass man selbst über den Dingen stehen muss, bloß nichts persönlich nehmen. Wer ernsthaft helfen will, bleibt stark. Und dazu bin ich wild entschlossen.
Also, wie war das noch mal? Ach ja: Mit der aktiven kreisförmigen Streicheltechnik bearbeite ich seinen Brustkorb im Uhrzeigersinn und murmele das Beruhigungsmantra »Alles wird immer besser und besser!« sanft in sein Ohr. Aber bekanntlich ist ja die Theorie immer leichter als die Praxis. Er windet sich wie eine Schlange unter meinen
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