Wie ich Brad Pitt entführte
satt geben. Denn ich bin seit genau zehn Minuten auf der Flucht.
Als erste Amtshandlung habe ich den Kapuzenmann abgehängt, der in einem schwarzen Polo schräg gegenüber von meinem Hauseingang schläft. Himmel, die Polizei scheint wirklich nicht mehr das zu sein, was sie früher einmal war. Aber umso besser für mich. 1:0 im neuesten Match »Vicki gegen die Bullen«.
Mein Porsche ist vollgetankt, ich habe jede Menge Bares im Portemonnaie, und auf meiner winzigen Rückbank thront unauffällig eine schwarze Sporttasche, die ich mit dem Nötigsten gefüllt habe. Als kleines Andenken habe ich sogar eins der gemeinsamen Polaroids von Tom und mir eingepackt. Ich bin eben sentimental. Und augenscheinlich leicht unterbelichtet.
Mein Plan steht fest. Ich fahre zum Flughafen und buche die erstbeste Maschine in Richtung Brasilien. Dort angekommen würde ich schnellstmöglich ein Kind gebären, denn ich hatte irgendwo gelesen, dass dort Eltern von brasilianischen Kindern – also von Kindern, die in Brasilien das Licht der Welt erblicken – grundsätzlich nicht ausgeliefert werden. So hatte der englische Posträuber Biggs, statt in einem englischen Knast zu versauern, über zwanzig Jahre feuchtfröhlich in Rio de Janeiro gelebt. Nun ja, was der konnte, kann ich schon lange. Auf dem Weg zum Flughafen werde ich nur noch einen klitzekleinen Abstecher zum Haus meines Vaters machen. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, mich so ganz ohne ein Zeichen des Abschieds wegzustehlen. Da ich meinen Erzeuger aber schlecht um sieben Uhr früh aus den Federn klingeln kann, hatte ich ihm in aller Eile ein paar entsprechende Zeilen geschrieben.
Da ist es, das Haus meiner Kindheit. »Repräsentativ« nennt mein Vater die große und elegante Villa in Lindenthal, direkt gegenüber vom Stadtwald. Ins Allgemeindeutsche kann man das auch gut mit »protzig« übersetzen: alter Baumbestand, schneeweißer Kies, meterlange Auffahrt, Springbrunnen mit Fontäne … und die Pseudo-Buckingham-Palace-Inneneinrichtung, die meine drei Stiefmütter im Laufe der Zeit zusammengetragen haben.
Meiner Mutter hatte einen Großteil der ursprünglich recht geschmackvollen Einrichtung irgendwann einmal aus Wut über meines Vaters Untreue im Garten abgefackelt. Was natürlich eine völlige Schnapsidee war und in etwa auf dem gleichen Niveau angesiedelt ist, wie einen TV-Star zu entführen. Wahrscheinlich bin ich also genetisch doch mehr vorbelastet, als mir lieb ist.
Ich parke verkehrswidrig vor dem schmiedeeisernen Tor, das mein Zuhause vom Rest der Welt ungefähr auf die gleiche Weise trennt, wie Pauschalurlauber in Dritte-Welt-Ländern auf Distanz zu den Einheimischen gehalten werden. Oder, wie es so schön in dem alten BAP-Song heißt: »… mit Stacheldraht vom Pöbel abgetrennt.« Bei uns war der Stacheldraht eben nur etwas schicker. Ich schlüpfe schnell aus dem Auto, renne durch den stärker werdenden Regen zum überdimensionierten Briefkasten und schmeiße meinen Brief ein. So gibt es keinen verräterischen Poststempel.
Als ich wieder im warmen Auto sitze, versuche ich, mir zum Abschied die ganze kalte Pracht noch einmal tief ins Gedächtnis einzuprägen. So viele Erinnerungen sind unauslöschlich mit dieser alten Fassade verbunden: der Auszug meiner Mutter. Sie hatte meinen Vater und seine Sekretärin in eindeutiger Stellung auf dem Billardtisch überrascht. Der Einzug meiner ersten Stiefmutter – eben jener Sekretärin – kurze Zeit später. Sie liebte es, mich mitten in der Nacht zu wecken, um das »ach so goooldige Kind« ihren ebenfalls angesäuselten Freunden zu präsentieren. Der Austausch der ersten Stiefmutter durch mein damaliges Kindermädchen. Große Hochzeitsfeier – das katholische Kindermädchen hatte eine Riesenverwandtschaft. Im schneeweißen Tüllkleid durfte ich Blümchen streuen. Drei Jahr später war die Ex-Kindermädchen-Stiefmutter mit Vaters bestem Freund durchgebrannt, der zwar vergleichsweise weniger Geld auf der hohen Kante hatte, damit aber entschieden großzügiger umging.
Kurz darauf begann Vaters altruistische Phase, mit der er sein angeschlagenes Selbstbewusstsein aufzupolieren versuchte. Von Stund an präsidierte er die verschiedensten Benefizkomitees und noble »Rettet den grün-lila-gescheckten Aussterbevogel«-Gesellschaften. Ich hatte nie ganz verstanden, was daran wohltätig sein sollte, wenn sich etwas in die Jahre gekommene Partyhengste und abgehalfterte Society-Schönheiten zu großen Feiern und
Weitere Kostenlose Bücher