Wie ich Brad Pitt entführte
Jemand klingt plötzlich ganz freundlich und klettert auf den Beifahrersitz. Er legt seinen Arm um meine Schultern.
»Frau Leenders, geht es Ihnen nicht gut?«
Ja, kann das denn wirklich wahr sein?? Der Kommissar. Schon wieder. Vor lauter Schreck heule ich noch ein bisschen lauter. Kommissar Benninger nimmt seinen Arm von meiner Schulter. Gleich wird er mich festnehmen. Nein, er robbt schon wieder aus dem Auto. Wahrscheinlich, um Verstärkung zu holen. Die Fahrertür geht auf. Jetzt würde es jede Sekunde so weit sein. Vielleicht hatten sie Tom in meinem Apartment gefunden, und er hatte ihnen alles erz…
Im nächsten Moment werde ich von zwei starken Armen hochgehoben und auf dem Beifahrersitz vorsichtig wieder abgesetzt. Der Kommissar zwängt sich hinters Lenkrad, dreht den Zündschlüssel um und fährt los.
Während ich still vor mich hin schniefe, riskiere ich einen kurzen Seitenblick auf meinen Chauffeur. Klar, er trägt Joggingklamotten. Blaues Sweatshirt über Adidas-Streifenhose. Seine Hand auf dem Lenkrad blutet aus einer großen Schramme. Himmel, ich habe ihn angefahren, und jetzt bringt er mich eigenhändig zum Polizeipräsidium. Den Porsche bin ich dann bestimmt auch los.
»Geht’s schon besser?« Seine Stimme reißt mich aus meinen schwarzen Gedanken.
»Hm.« Mit meinem Ärmel versuche ich, mir die Tränen von der Wange zu wischen. Ich fühle kurz seinen Blick auf meinem Gesicht. Dann wühlt er, einhändig fahrend, in seiner Jogginghose und zieht eine zerquetschte Packung Taschentücher raus. Er reicht sie mir wortlos. Ich nehme eins raus und tupfe blöd an meiner Nase rum. Es hätte eigentlich gut getan, mich mal so richtig zu schnäuzen, aber dazu war ich zu gehemmt.
Plötzlich halten wir an. Verdutzt blicke ich mich um. Wir stehen keineswegs vor dem Polizeipräsidium, sondern vor dem Haus, in dem Psychosen-Meyer seine Praxis hat. Er hat mich zu meinem Therapeuten gebracht!
Ich bleib im Auto sitzen, bis er mir die Tür aufhält. »Heute ist Samstag«, versuche ich zu erklären, »da ist die Praxis zu.«
Den Kommissar scheint diese Information nicht weiter zu beeindrucken. Er nimmt einfach meinen Arm und hilft mir aus dem Auto. Ganz offenbar macht Protestieren keinen Sinn. Vielleicht besitzt er Psychosen-Meyers Handynummer. Bestimmt wird er ihn bitten, mich in die Geschlossene einzuweisen. War das nicht noch schlimmer als Gefängnis? Ich weiß es nicht. Langsam gehen wir zum Haus. Ich versuche, meine Fluchtchancen abzuschätzen. Aber es sieht nicht gut aus. Der Kommissar wirkt ultrafit, und an Weglaufen ist nicht zu denken. Außerdem hat er meine Autoschlüssel eingesteckt. Er öffnet die Haustür und hält sie mir – schon wieder – galant auf. Wo bitte hat er denn den Schlüssel her? Ist diese ganze Aktion von langer Hand geplant? Wir steigen in den Aufzug. Er drückt auf die 3, wahrscheinlich hat er auch den Schlüssel zur Praxis. Das wird ja immer schöner. Wir steigen aus. Halt, was macht er jetzt? Anstatt nach links zur Praxis zu gehen, schwenkt er nach rechts, steckt den gleichen Schlüssel in die Tür auf dieser Seite und schließt auf.
Wir stehen in einem Apartment. Achtlos wirft der Kommissar die Hausschlüssel auf einen Stuhl neben der Tür und führt mich in den Raum, der wahrscheinlich das Wohnzimmer darstellt. Auf dem großen roten Sofa stapelt sich ein kleiner Berg von Zeitungen, davor steht eine benutzte Cappuccinotasse. Ist das am Ende
sein
Apartment? Kommissar Benninger räumt die Zeitungen zur Seite und deutet auf das Sofa.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«, fragt er freundlich.
Ich setze mich auf die äußerste Sofakante. »Äh … nein, danke«, bringe ich gerade noch so hervor.
»Ich spring mal schnell unter die Dusche, und dann gehen wir irgendwo frühstücken. Okay?«
Ich bin zu perplex, um zu antworten, nicke aber. Er verschwindet im angrenzenden Zimmer. Kurz danach höre ich eine Dusche rauschen. Was soll das alles? Darf er das überhaupt … eine Tatverdächtige zu sich nach Hause bringen? Müsste er mich nicht über meine Rechte aufklären, oder geschieht das nur in amerikanischen Serien? So nach dem Motto: Alles das, was Sie mir jetzt vertraulich erzählen, kann Sie trotzdem in den Knast bringen? Brauch ich nicht besser einen Anwalt?
Verwirrt blicke ich mich um. Das Apartment ist klein, aber sehr gemütlich. Auf dem überdachten Balkon stehen ein einsames Snowboard und ein bereits verendeter Bambusstrauch. Links von mir, auf dem Boden, waren seine CDs
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