Wie ich Brad Pitt entführte
jemand anderes gewagt hätte, sie auf dem Revier mit »mein Kind« anzusprechen. Aber Herr Friesen erinnerte sie immer an ihren verstorbenen Opa, und da ließ sie es ihm durchgehen.
»Ich suche nach einem vermissten Anwalt und kann per Internet seine Kanzlei nicht finden.«
»Was ist denn das Fachgebiet des betreffenden Anwalts?«
Nicole zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Seine Verlobte sprach davon, dass er Verträge aufgesetzt hätte …«
»Handelt es sich denn wenigstens um einen ordnungsgemäß zugelassenen Anwalt?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ja, Kind, früher hat man uns so ein Gedöns auf der Polizeischule beigebracht, aber nun müsst ihr ja all den technischen Kram lernen. Da habt ihr da wohl keine Zeit mehr für. Also, um als Anwalt vor Gericht auftreten zu können, muss jemand die sogenannte Richterbefähigung haben, das heißt, dass er sowohl das erste als auch das zweite juristische Staatsexamen bestanden hat und als ordentlicher Rechtsanwalt bei der betreffenden Landesjustizverwaltung zugelassen worden ist.«
Diese Definition hörte sich tatsächlich so nach Beamtendeutsch an, dass Herr Friesen sie wahrscheinlich irgendwann einmal auswendig gelernt hatte, dachte Nicole, bevor sie laut erwiderte: »Dann gibt es bestimmt eine Liste mit allen in Deutschland zugelassenen Anwälten?«
»Die gibt es in der Tat, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie dir wirklich weiterhelfen wird. Neben den – in Anführungsstrichen – normalen Anwälten gibt es noch jede Menge anderer Juristen, die alle nur das erste Staatsexamen in der Tasche haben, die aber trotzdem bei Versicherungen oder Banken Verträge aufsetzen oder anderweitig juristische Sachverhalte prüfen.«
»Sie meinen also, mein Anwalt ist die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen?«
Herr Friesen strahlte sie an: »Genauso ist es. Man könnte aber auch von der Nadel im Misthaufen sprechen. Mir liegen diese arroganten Anwaltschlingels nicht so.«
»Dann muss ich wohl warten, bis eine von den anderen Spuren zum Erfolg führt.«
»Tja, mein Kind. Die Kunst des Wartens lernt man in unserem Beruf wohl besser als in jedem anderen.« Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seiner Akte zu. In diesem Moment stürmte Markus Kleinert, der diensthabende Kollege, mit weit aufgerissenen Augen durch die Tür.
»Nicole, hast du Max oder Tim erreicht?«
»Ich habe kurz mit Tim gesprochen. Er war mit seinen Kindern im Zoo. Wieso fragst du?«
»Der Fall Schneider. Bei uns brechen alle Telefonleitungen zusammen. Zu viele Hinweise …«, schnaufte Markus unverständlich.
»Also, jetzt noch mal schön langsam, Markus«, sagte Herr Friesen. »Was ist los?«
Markus atmete einmal tief durch. »RTL hat während einer Sendung zum Thema ›Schneider‹ anscheinend die Nummer von unserem Revier eingeblendet, und jetzt rufen plötzlich so viele Bürger mit sachdienlichen Hinweisen an, dass unsere Telefonleitungen in die Knie gehen.«
»Und wer notiert die Hinweise? Man muss doch wahrscheinlich all diesen Spuren nachgehen?«, schaltete sich Nicole ein.
»Eben«, sagte Markus. »Tim und Max müssen unbedingt sofort aufs Revier kommen und mit diesen Leuten telefonieren. Das ist doch eindeutig Arbeit der Sonderkommission. Ich kann mich darum auf jeden Fall nicht kümmern. Ich … muss die Leitungen frei halten. Was machen wir denn, wenn irgendjemand anders einen Mord melden will? Das kann doch nicht bis morgen warten!«
»Richtig. Und genau deswegen bin ich hier.«
Zur Überraschung aller Anwesenden schob Max Benninger urplötzlich seine athletische Gestalt durch die Tür. »Ich habe schon mit RTL telefoniert. Die haben völlig eigenmächtig die Nummer veröffentlicht. Tim und ich haben damit nichts zu tun.« Er drehte sich zu der nun im Türrahmen erscheinenden dunkelhaarigen Frau um. »Melanie, ich hoffe, es macht dir nichts aus, etwas zu warten. Du kannst dich da drüben auf die Bank im Wartebereich setzen. Wir gehen einfach später etwas essen.«
Seine Freundin, durchfuhr es Nicole. Seine nichts ahnende Freundin!
»Nicole, wenn du schon hier bist … würde es dir etwas ausmachen, dich auch ans Telefon zu hängen? Markus, stell einfach alle Anrufe zu uns durch.«
»Wird gemacht«, sagte Markus und verschwand erleichtert wieder im Frontraum des Reviers.
»Op Düüvel komm rus telefoniere? Da bleibe ich doch auch noch ein bisschen. Zuhause wartet ja eh nur ming Frau auf mich. Und die ist Kummer gewohnt«, grinste Herr Friesen und lockerte seine
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