Wie ich Brad Pitt entführte
Gott, bete ich inbrünstig.
»An … Tom Schneider.«
Hurra! Unser Nachname geht fast im frenetischen Jubel unter. Ich zücke mein Opernglas. Nein, er sieht ganz cool aus, wie er da die Treppe hochsteigt.
»Und zum Schluss möchte ich dem Menschen danken, der mich all diese Jahre so fantastisch begleitet und unterstützt hat …« Tom unterbricht seine Dankesrede für einen kurzen Moment. Ich setze mich etwas größer hin und lächele hingebungsvoll. Wahrscheinlich fährt gleich die Kamera über mich hinweg, um Toms Dankesworte bildtechnisch zu untermalen. Tom reckt den Arm mit dem umklammerten Filmpreis siegesbewusst steil nach oben, als er ausruft: »Meinem Agenten! Zack, der ist für dich!«
Hilflos umklammere ich mein Champagnerglas und fühle mich unwohl und schwitzig. Wo steckt bloß Tom? Seit einer gefühlten Unendlichkeit habe ich ihn nicht mehr gesehen, und in etwa genauso lange bin ich schon Opfer meiner eigenen Höflichkeit: Ich stehe neben Mutter Beimer alias Marie-Luise Marjan und lasse mich von ihrer unnachahmlichen Eigen-PR zutexten.
»Tja …«, fährt sie in ihrem Monolog fort, »… wenn Tom auf mich gehört hätte, hätte er den Filmpreis natürlich schon viel früher einheimsen können. Schließlich war ich ja schon ein Star, als er noch in den Windeln lag.« Sie lacht unangenehm.
Ich trete einen Schritt zurück. Völlig zwecklos! Sie klebt an mir wie die vielen kleinen Fusseln an ihrem schwarzen Samtkleid. Offenbar fehlt der Frau jegliches Gespür für eine angemessene Gesprächsdistanz. Viel zu nah steht sie vor mir und tröpfelt mir ihre selbstbeweihräuchernden Plattitüden ins Ohr.
»… natürlich sind diese jungen Regisseure völlig auf meine Hilfe angewiesen. Und die Drehbuchautoren erst! Die sollten mir nun wirklich dankbar sein. Große Kasse machen die nur mit den Zeilen, die ich für die erfinde.«
Warum kann ich mich nicht einfach umdrehen und weggehen, so wie Tom das immer macht? Wo verdammt steckt er bloß? Endlich erlöst! Mutter Beimer hat mich sang- und klanglos abserviert, als sie Doris Dörrie ein paar Meter weiter hatte stehen sehen. Arme Doris Dörrie!
Ich nippe an meinem inzwischen viel zu warmen Champagner und mache mich auf die Suche nach Tom. An der Bar finde ich Zack gestikulierend inmitten einer Gruppe seriös aussehender Produzenten, aber von Tom keine Spur. Ich arbeite mich durch die wild flirtende, gut alkoholisierte Menschenmenge im Hauptsaal. Natürlich bin ich schon längst kein Groupie mehr, und der Anblick von so viel geballter Starpower lässt mich völlig kalt. Links von mir passiere ich gerade Lothar Matthäus mit seiner neuesten Eroberung, dem Anschein nach schon wieder russisch und noch mal fünf Jahre jünger als die letzte. Rechts steht Harald Schmidt und scheint sich köstlich entweder über oder mit einem älteren Herrn zu amüsieren. Ach herrje, das ist ja schon wieder dieser Lanz. Aus der Nähe wirkt dessen Gesichtshaut so tief und akkurat gefurcht; quasi wie mit der Egge gepflügt. Zu viel Make-up kann über die Jahre wirklich grausame Schäden anrichten.
So jetzt bin ich fast am anderen Ende des Saals angelangt, und Tom ist noch immer nirgends zu sehen. Er kann doch nicht ohne mich weggefahren sein. Oder?
Die Garderobenfrau lässt auf sich warten. Nervös klopfen meine Finger auf der grau-weißen Resopalplatte der Durchreiche. Tom ist einfach unauffindbar. Ich habe jetzt die Nase gestrichen voll und will nichts weiter als nach Hause. Und jetzt das … da stehe ich mit meinem rosa Garderobenmärkchen in der Hand und weit und breit keine Garderobenfrau. Egal! Dann hole ich mir meinen Mantel eben selbst. Ich nehme mir ein Herz und steige behände durch das Garderobenfenster auf die andere Seite. Geordnet nach Ankunftszeit ihrer Besitzer hängen Mäntel und Jacken in symmetrischen Reihen. Ich schaue auf mein Märkchen: 283! Das musste weiter hinten sein. Hier vorne hingen Kleidungsstücke mit ein- und zweistellige Zahlen. Ich lasse meine Hand über die unterschiedlichen Materialien gleiten, während ich an den Reihen entlangschreite: Pelz, Pelz, Kaschmir, Pelz, handschuhweiches Wildleder und wieder Pelz. Nobel, nobel. Hier hängen bestimmt ein paar Hunderttausend Euro rum! Dass da die Garderobenfrau einfach mal so Pause machen geht … Ich schüttele den Kopf. Da hinten scheinen sogar noch ein paar andere Gäste nach ihren Mänteln zu forschen. Oder waren das am Ende Diebe? Vorsichtig nähere ich mich den zwei Köpfen in der
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