Wie ich Rabbinerin wurde
von mir geteilten – Begeisterung für Israel geben die israelischen Jugendlichen den Ton an. Sie sind in Israel geboren, sprechen untereinander nur
Iwrit
, kennen bereits alle Lieder und Volkstänze, sind sehr selbstbewusst und verfügen allein schon sprachlich über die Macht, die anderen auszuschließen. Einige von ihnen haben eigentlich »deutsche« Eltern, die in den 50er und 60er Jahren aus Israel »zurückgekehrt« sind, doch die deutsche Herkunft zählt nicht. Sie sind stolz darauf, Israelis zu sein, und planen ihre endgültige Einwanderung nach dem Abitur. Die anderen simulieren diesen israelischen Duktus, so gut es geht, benutzen hebräische Wörter, gewöhnen sich den Singsang, mitunter sogar den Akzent der Israelis an und betrachten sich auf keinen Fall als »Deutsche«.
Die »anderen« sind zum Teil die Kinder von »DPs« (
displaced persons
), zum Teil von »deutschen Juden«. Die Eltern der ersten Gruppe stammen aus Mittel- und Osteuropa, haben das KZ und den Todesmarsch – zufällig – auf deutschem Boden überlebt, oder sie sind nach Kriegsende vor neuen Pogromen und antisemitischen Wellen in den Westen geflüchtet. Die meisten von ihnen leben – nachdem sie alles verloren haben – zunächst in »D P-Camps « und betrachten Deutschland allenfalls als Übergangsstation, bis sie woanders endgültig neu anfangen. Niemand von ihnen hat mehr eine Heimat, in die man zurückkehren könnte. Die »deutschen Juden« stellen nur eine winzige Minderheitdar und geben sich allenfalls noch selbstironisch zu erkennen, zum Beispiel in den vielen Witzen über die
Jekkes
, die deutschen Juden, die vor der
Schoa
»deutscher als die Deutschen« gewesen seien. Aber anders als die »DPs« leben sie noch in »ihrem« Land, wenngleich das kaum einer so aussprechen würde.
Uns Kindern ist die Bedeutung der Herkunft, wie sie unsichtbar und auf verschiedene Weise in unsere jüdische Identität hineinwirkt, nicht bewusst. Ich habe als Jugendliche keine Ahnung davon, dass im Polen vor der
Schoa
»Jüdischsein« eine »Nationalität« ist: Wer »Jude« ist, kann nicht zugleich »Pole« sein, denn »polnisch« ist gleichbedeutend mit »katholisch«. Dieser osteuropäische Nationalitätenbegriff hat den Zionismus und die israelische Gesellschaft nachhaltig geprägt. Die ersten Einwanderer in Palästina sind Zionisten aus Polen und Russland. Ihre jüdische Identität ist in erster Linie eine säkular-nationale, unter der sie die Religion zusammenfassen, sie aber nicht zum Ausgangspunkt machen. Genauso wenig weiß ich, was es demgegenüber bedeutet, dass sich die »deutschen Juden« vor der
Schoa
sehr wohl als Deutsche – als »deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens« – angesehen haben. Ihnen ist das Judentum lediglich noch eine Religion gewesen, aber keinesfalls eine Nationalität. Dieses »deutsche Judentum« hat sich in den Augen der meisten Juden spätestens im Dritten Reich ad absurdum geführt und gilt nicht nur als gescheitert, sondern wegen seiner anpasslerischen Haltung sogar als verachtenswürdig.
Es ist bezeichnend, dass es eines halben Jahrhunderts bedurft hat, bis erstmals Historiker meiner Generation den Blick auf die Zusammensetzung der jüdischen Gemeinschaft in der Nachkriegszeit richten. Michael Brenner hat dies mit Blick auf die »DPs« getan, Jael Geis mit Blick auf die »Juden deutscher Herkunft«. Gerade durch die Lektüre von Geis’
Übrig sein
–
Leben »danach«
weiß ich heute, dass die »Deutschen« kaum mehr als ein vages Judentum einbringen können. Von ihnen haben nur wenige überlebt, die religiös sind und dabei fest in der Tradition des deutschen Judentums stehen. Ein großer Teil der deutsch-jüdischen Überlebenden fällt in die N S-Kategorie der»privilegierten Ehen«, die in der Mordmaschinerie vorläufig zurückgestellt sind, das heißt, sie sind mit einem nichtjüdischen Partner verheiratet, oder es sind ihre Kinder, die »Mischlinge«. Viele hat erst das Dritte Reich wieder in ihre jüdische Herkunft zurückgestoßen, die sie selbst oder möglicherweise schon ihre Eltern längst abgestreift zu haben glauben.
Auf diesem Glatteis einer äußerst ambivalenten Heterogenität von »DPs« und »Deutschen« entstehen die jüdischen Nachkriegsgemeinden. Sie werden aufgebaut von Menschen mit sehr verschiedenen geistigen Prägungen und unausgesprochenen Ressentiments. Die Klammer, die das Unvereinbare zusammenhält und alle gleichermaßen zu Juden macht, ist für die ältere
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