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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Klapheck
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Bundesverband Jüdischer Studenten (BJSD) angeschlossen. Bei einem der BJS D-Treffen , an dem ich als Delegierte teilnehme, überrascht uns mitten in einer Sitzung Andy Steiman, ein Student aus Frankfurt, der unerwartet hereintritt und berichtet, dass die Jüdische Gemeinde beschlossen habe, die Theaterbühne zu besetzen. Andy bittet um die Unterstützung der Studenten bei dieser Aktion. Es kommt zu einer heftigen Diskussion. Ein Teil der Anwesenden stimmt zu, dass das Theaterstück antisemitisch sei und nicht aufgeführt werden dürfe. Andere meinen jedoch, dass die Freiheit der Kunst geschützt bleiben müsse.
    Am Abend der Besetzung bin ich nicht in Frankfurt, empfinde aber Solidarität mit den Besetzern. Nicht nur wegen des Stücks, auch weil sich in der Aktion ein neues jüdisches Selbstbewusstsein in Deutschland manifestiert – kein Selbstbewusstsein, das sich allein zwischen Trauma und Wiedergutmachung bildet, sondern eines, das die jüdischen Anliegen in der Gesellschaft durchzusetzen gedenkt und dabei das »Täter-Opfer«-Schema aufkündigt.
    In der
Tagesschau
sehe ich Bilder aus dem Theatersaal – das Transparent »Subventionierter Antisemitismus«, das Mitglieder der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, darunter ihr Vorsitzender Ignatz Bubis, quer über die Bühne halten, ebenso wie den Zuschauerraum, in dem Daniel Cohn-Bendit und Marcel Reich-Ranicki die Aufführung des Stückes fordern. Die
Tagesschau
zeigt auch Bilder vom Vorplatz. Dort steht eine Menge von Demonstranten. Plötzlich ist Andy Steiman im Fokus der Kamera. Er hält ein Megaphon und feuert die Menge an. Sie singt mit ihm:
Am Israel chaj
(»Das Volk Israel lebt«)! Mir treten Tränen in die Augen. Die Worte berühren einen neuralgischen Punkt.
    Doch meine emotionale Reaktion ist ambivalent.
    Lebt das »Volk Israel« wirklich?
    Nichts gegen ein hebräisches Lied. Ich kenne es noch von den zionistischen
Machanot
, den Ferienlagern, zu denen ich vor meiner Internatszeit gefahren bin. Es hat einen beschwingten Rhythmus, der – wenn zu feurig gesungen – leicht in Gegröle umschlägt. Der Text ist denkbar simpel, seine Worte werden endlos wiederholt:
Od awinu chaj – am Israel chaj
(»Unsere Väter leben noch! – Das Volk Israel lebt«)! Das Lied hat einen Rhythmus, der alle sofort einstimmen lässt. Es schafft eine übergeordnete kollektive Identität. Bei den
Machanot
hat es uns das Gefühl gegeben, dieselben Lieder wie die Israelis zu singen.
    Mich stört jetzt plötzlich, dass ausgerechnet dieses Lied bei der Demonstration in Frankfurt gesungen wird. Es kombiniert den Konflikt um das Fassbinder-Stück emotional mit der anderen Koordinate: Israel. Jedoch nicht mit dem realen Israel, sondern mit einem simulierten Israel.
     
    Je mehr ich in den kommenden Jahren lerne, zwischen beiden Israel zu unterscheiden, desto bewusster wird mir, wie das simulierte Israel die Unterschiede zwischen den einstigen jüdischen Kulturregionen Europas überdeckt. Dabei entstehen Wertigkeiten, die ich bereits im Kindergarten wahrgenommen habe. Ein Mädchen stellt sich mir stolz vor: »Ich bin aus Israel – und du?« Meine deutsche Herkunft senkt meinen Status. Wir lernen die hebräischen Buchstaben noch vor den lateinischen und mit ihnen Wörter, die unserer Sprache einen Hauch von
Iwrit
verleihen –
Ima, Abba, Buba, Kelev   …
(»Mama, Papa, Puppe, Hund«   …). Im Jugendzentrum hängen Israelkarten und Plakate mit israelischen Gesichtern und Landschaften. Auch hier sind alle wichtigen Begriffe in
Iwrit

Madrichim, Kwuzot, Chugim
… (Gruppenleiter, Gruppen, Zirkel   …). Wir bringen für den Nahostkonflikt eine sehr viel größere Aufmerksamkeit auf als für die innerdeutsche Politik. Wenn in den Nachrichten plötzlich von Israel die Rede ist, geht ein »Scht!« durch denRaum, und alle hören dem Nachrichtensprecher zu. Das liegt natürlich auch daran, dass viele von uns Verwandte in Israel leben haben. Aber es steckt darin auch eine tägliche Identitätsübung. Lange halte ich das Jugendzentrum für identisch mit der »Zionistischen Jugend Deutschlands« (ZJD). Erst viel später verstehe ich, dass die
Schlichim
(»Gesandten«), die im Jugendzentrum wirken, aus Israel geschickt sind, um die Jugendlichen für die
Alija
anzuwerben. Wir tanzen mit ihnen israelische Volkstänze, sehen israelische Filme, und auf den Ferienlagern haben wir sogar einen »Morgenappell« in
Iwrit
, bei dem die israelische Fahne gehisst wird.
    In dieser allgemeinen – auch

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