Wie ich Rabbinerin wurde
Säfte. Die Aktion ist offensichtlich mit der Kirchenleitung abgesprochen. Ich versuche die Jugendlichen zu interviewen, doch sie kichern nur verlegen. Weil sich keine richtige »Story« ergibt, überspiele ich der Redaktion zunächst nur eine sachliche Meldung, die lediglich die »Besetzung« der Kirche und die von den deutschen Asylaktivisten vorgetragenen Forderungen bekannt gibt. Die Redaktion hat dem Thema jedoch einen viel größeren Platz eingeräumt – als Aufmacher für die morgige Ausgabe! Meine Unerfahrenheit spielt mit herein, als ich mich überreden lasse, doch noch eine größere Reportage über das Geschehen zu schreiben. In der Kürze der Zeit, die beim Schreiben kein Nachdenken mehr erlaubt, entsteht genau der Eindruck, den ich von der Aktion habe: Deutsche Asylaktivisten veranstalten eine Aktion gegen die Berliner Senatspolitik, diejenigen, um die es geht, machen sich einen vergnüglichen Nachmittag, der Pfarrer unterstützt das muntere Treiben.
Am nächsten Tag ruft mich der Chef vom Dienst an: Die Asylaktivisten haben die
taz
besetzt und den Abdruck einer von ihnen verfassten Stellungnahme durchgesetzt. Darin prangern sie meine, wie sie es ausdrücken, »saumäßige Berichterstattung« an, mit der ich die Aktion »entpolitisiert« habe. Von diesem Moment an habe ich in den Kreisen der Berliner Asylaktivisten verspielt. Verschiedene andere Artikel, die ich über die Situation von Flüchtlingen in der Stadt schreibe, vermögen das Ressentiment gegen mich nur noch bedingt zu entschärfen.
In der Tat schreibe ich mit einer anderen Haltung, als es viele Asylaktivisten – eine wichtige Leserklientel der
taz
– verlangen. Zunächst ist mir der grundlegende Unterschied nicht voll bewusst. Er wird in diesen Kreisen jedoch sofort verstanden und mit aggressiven Leserbriefen quittiert. Mir liegt nicht daran, in erster Linie über Deutsche zu berichten, die sich mit Hilfe von Aktionen gegen die deutsche Asylpolitik auf der moralisch richtigen Seite fühlen. Ich folge ihnen nicht, wenn sie sich mit den politischen Flüchtlingen aus dem Ausland identifizieren, die einen vermeintlich ähnlichen Kampf gegen Diktaturen und Unterdrückung führen wie sie gegen das deutsche System – und damit ihren nachträglichen Widerstand gegen die N S-Dik tatur zu leisten meinen. Vielmehr will ich die Stimmen der in Berlin lebenden Ausländer selbst zu Wort kommen lassen und ihnen innerhalb des hiesigen politischen Systems mehr Gewicht geben. Der Begriff »Zivilgesellschaft« hat die Sprache noch nicht erobert. Was sich mit ihm verbindet, ist jedoch auch Leitfaden meines journalistischen Ansatzes. Dieser löst die deutsche Hegemonie der politischen Kultur auf, indem sich Immigranten gleichberechtigt einbringen – nicht als »unterdrückte Opfer«, sondern als aktive Bürger im demokratischen Staat. Entsprechend reiben sich verschiedene meiner Artikel mit dem, was gemeinhin als Ausländerpolitik gilt.
Meine Freundin Sevim Celebi, die als erste türkische Immigrantin in ein deutsches Parlament gewählt wird, erlebt in dieser Zeit ähnliche Konflikte. Als Abgeordnete der Alternativen Liste, AL, hat sie ein »Immigrantenpolitisches Forum« im Berliner Abgeordnetenhaus gegründet. Dort treffen sich Ausländer, die zum Teil schon seit Jahrzehnten in der Stadt leben, um sich politisch stärker einzubringen. Führende A L-Mitglieder hintertreiben jedoch Sevims Schwerpunkt und verlangen, dass sie ihr Augenmerk effektiver auf die Asylpolitik des Senates richte und dieser mit spektakulären Aktionen begegne. Die Anliegen von Immigranten, die sich längst in Berlin eingerichtet haben, halten sie für kleinteilig, mitunter gar für reaktionär. In solchen Auseinandersetzungen stelle ich fest, wie schwer es für viele derengagierten Deutschen ist, auf gleicher Augenhöhe mit Ausländern zu sprechen und diese ihre Anliegen selbst vertreten zu lassen – statt in ihrem Namen einen heldenhaften, paternalistischen Kampf zu führen, der vor allem auch dem eigenen überlegenen Selbstwertgefühl dient. Sevims Argument, dass die Integration der Immigranten ins politische System genauso wichtig sei wie Aktionen gegen die deutsche Abschiebepolitik, wird damals noch nicht verstanden.
Ebenso wird in diesen Kreisen mein journalistischer Blickwinkel als »gefährlich« gebrandmarkt. Die Auseinandersetzung mit der »multikulturellen« Gesellschaft ist erst im Entstehen. Als ich eine ganzseitige, wohlwollend gestimmte Reportage über die
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