Wie ich Rabbinerin wurde
dass sie einmal als
Centrum Judaicum
zu einem Ort jüdischer Aktivität wiedererstehen würde.
Nach dem Interview mit Peter Kirchner fahre ich, neugierig geworden, an einem Freitag abermals über die Grenze. Ich will einen
Kabbalat Schabbat
in Ostberlin erleben.
Die Gottesdienste werden in der Synagoge Rykestraße, dem einstigen »Friedenstempel« im Bezirk Prenzlauer Berg, gehalten. Die Synagoge ist ähnlich wie die Synagoge Pestalozzistraße im Westteil 1938 nicht niedergebrannt, weil sie in einen Berliner Hinterhof hineingebaut ist: Die Gefahr war zu groß, dass die benachbarten Wohnhäuser Feuer fangen würden. Den prächtigen, in Dunkelheit gehüllten Hauptsaal der Synagoge werde ich an diesem Abend nicht sehen. Es haben 2000 Menschen dort Platz. Der Gottesdienst findet vielmehr in einem kleinen, hell erleuchteten Nebenraum, der gemütlichen »Tagessynagoge« statt, in die rund 50 Menschen passen. Ich komme etwas zu spät. Die Kontrollen an der Friedrichstraße dauern noch länger, als ich eingerechnet habe. Kaum trete ich ein, höre ich die bekannten Schabbatklänge. Vorne, am
Aron Hakodesch
, singt Kantor Oljean Ingster – jener Kantor, der seit Mitte der 60er Jahre dafür sorgt, dass in Ostberlin Schabbat um Schabbat ein jüdischer Gottesdienst stattfindet. Auf den Holzbänken sitzen die Männer auf der rechten Seite und die Frauen auf der linken. Auf beiden Seiten sind alle Plätze besetzt– bis auf einen, in der ersten Reihe auf der Frauenseite, direkt vor der
Bima
.
Die Anwesenden scheinen konzentriert zu beten und genau zu wissen, was der Kantor vorne in Hebräisch vorträgt. Ich kann meinen Augen nicht trauen: War nicht das jüdische Leben in der DDR im Aussterben begriffen? Peter Kirchner hat mir gesagt, dass die Jüdische Gemeinde in Ostberlin gerade einmal 180 Mitglieder zähle, wovon die übergroße Mehrheit über 60 Jahre alt sei. Doch von einer solchen vollen Synagoge am Schabbat können die Westberliner Synagogen nur träumen! Was mir jedoch merkwürdig erscheint, ist die – wie ich es wahrnehme – protestantisch-konzentrierte Atmosphäre, die nur vom
Nussach
des Kantors gebrochen wird. Dieser überbietet allerdings alles, was ich je an traditioneller
aschkenasischer
Aussprache des Hebräischen gehört habe.
Neben mir sitzt eine junge Frau, ungefähr in meinem Alter. Zwar folgt auch sie den Gebeten in ihrem
Sidur
, wirkt jedoch weniger demonstrativ am Gottesdienst beteiligt. Ich habe meinen
Sidur
aus Vorsicht, da er mir bei den Grenzkontrollen an der U-Bahn -Station Friedrichstraße abgenommen werden könnte, nicht mitgebracht. Ich weiß, dass ich mich in einer anderen Welt befinde – im kommunistischen Ostberlin. Ich kenne die hiesigen Umgangsformen nicht. Ich weiß nicht, ob ich eine Gleichaltrige duzen oder siezen soll. Jedenfalls fasse ich mir ein Herz und frage meine Nachbarin leise, ob ich bei ihr mit reinschauen könne.
Es ist Lara Dämmig.
Ich würde sie nach diesem Gottesdienst erst einmal eine längere Zeit nicht wiedersehen – aber wir würden zehn Jahre später zusammen
Bet Debora
gründen.
Auf meine Frage reagiert sie eher kühl. Irgendwann würde sie mir ihre Abwehr erläutern. Teilweise klärt sich diese jedoch noch am selben Abend für mich auf.
Auf der Männerseite, in der ersten Reihe, bemerke ich schon während des Gottesdienstes einen Mann mittleren Alters, der fast ein wenig unruhig, wenn nicht gar ungeduldig immer wiederzu mir herüberschaut. Kaum hat der Kantor allen ein
»Gut Schabbes«
gewünscht und damit das Ende des Gottesdienstes besiegelt, springt der Mann auf und kommt auf mich zu: »Bist du jüdisch? – Dann kommst du gerade richtig!« Es findet gleich ein
Oneg Schabbat
im Gemeindehaus statt. Dort trifft sich die jüngere Generation. Ich könne mit ihm dorthin mitfahren. Der Mann heißt Heinz Rothholz und ist für die Jugendarbeit der Ostberliner Gemeinde zuständig. Später wird er dem Vorstand der vereinigten Jüdischen Gemeinde zu Berlin angehören.
Das Gemeindehaus befindet sich im Nachbargebäude zur Ruine der Neuen Synagoge. Im »Gesellschaftsraum« herrscht emsiges Treiben. Frauen, die ich teilweise schon in der Synagoge gesehen habe, bereiten Essen vor und decken Tische. Männer holen Stühle und rücken sie zurecht. Heinz Rothholz hat
Challa
mitgebracht – »Barches«, wie er sie auf Berlinerisch nennt – sowie bulgarischen Rotwein. Er bringt alles in die Küche und kommt mit zwei Kerzenleuchtern zurück. Diese stellt er auf
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