Wie ich Rabbinerin wurde
gesprochen wie diese Menschen.
Das Westberliner feministische Frauen- und Lesbencafé Begine lädt mich und meine Freundin Maya Oschitzki zu einem Vortrag über »Jüdische Frauen heute« ein. Es ist das erste Mal, dass ich als »öffentliche Jüdin« auftrete.
Maya und ich haben im Vorfeld Statements vorbereitet. Mir liegt viel daran, die Diskussion gar nicht erst in eine Bahn geraten zu lassen, in der wir als »doppelt unterdrückt« bedauert werden – zum einen durch den Antisemitismus der Deutschen, zum anderen durch das Patriarchat der jüdischen Männer. Deshalb halte ich einen Minivortrag über die Rechte der Frauen in der jüdischen Tradition. Ich gestalte ihn entlang der Frage, warumFrauen im Zeitalter der Emanzipation und Gleichberechtigung Gründe haben, an der jüdischen Religion festzuhalten. Abgesehen von charakterstarken Heldinnen in der Bibel wie Debora, Hulda oder Esther behandle ich anhand einiger Beispiele die Stellung der Frau im talmudischen Recht und komme dabei auch auf die weibliche Sexualität zu sprechen. Hierin verberge sich, wie ich erläutere, eine der stärksten kulturgesellschaftlichen Herausforderungen. Sie provoziere jede Gesellschaft von neuem. Tatsächlich hat die Frau nach den talmudischen Vorschriften einen Anspruch auf ihr Sexualleben, freilich nur im Rahmen der Ehe – was aber nicht heiße, dass sich die talmudischen Auffassungen von Eros und weiblicher Sinnlichkeit nicht genauso in unserer freieren Situation entfalten könnten. In jedem Fall unterscheiden sich die talmudischen Auffassungen sehr von den Keuschheitsgeboten z. B. im Christentum. Der jüdische Mann ist verpflichtet, die Bedürfnisse seiner Frau zu befriedigen. Der Talmud scheut sich nicht, hierfür genaue Kriterien anzugeben. Je nach Berufsgruppe ist dem Mann aufgetragen, wie häufig mindestens er seine »eheliche Pflicht« zu erfüllen habe. Frauen haben ein Recht darauf, ihre Sehnsüchte zu artikulieren, ja selbst ein Recht auf den Orgasmus. Frauen, die beim Sex die Initiative ergreifen, lobt der Talmud: »Sie werden Kinder haben, wie es sie noch nicht gab, selbst in der Generation von Moses nicht!«
(Eruwin 100b).
Im Prinzip – so führe ich aus – habe schon das antike Judentum die Gender-Debatte vorweggenommen: Der Talmud etwa hinterfrage, ob Männer »von Natur aus« aktiv und aggressiv seien und Frauen passiv und harmoniebedürftig. Die in der Tora verlangte Beschneidung der jüdischen Jungen soll die »Beschneidung der Herzen« vorwegnehmen – männlicher Habgier und Großmannssucht eine Grenze setzen. Die Beschneidung markiert die Aufnahme in den »Bund Gottes« und symbolisiert zugleich eine Absage an Machotugenden wie Potenzgehabe und Eroberungsgelüste. Die Rabbiner sehen das jüdische Volk als die »Geliebte« Gottes – also als eine Frau. Sie ist der weibliche Part der Liebenden im
Hohelied
. Wenn der jüdische Mannmorgens die
Tefilin
um Arm und Kopf legt, spricht er: »Und ich verlobe mich dir [Gott] in Ewigkeit.«
Seit Jahrhunderten verhöhnen die Feinde der Juden die »Weibischkeit« jüdischer Männer. Es beunruhigt sie das aktive »Weibliche« des jüdischen Geistes, das unter anderem auch einem anders erfahrenen Verhältnis zur weiblichen Körperlichkeit entspringt. Sie meinen, dass die Organisation der Macht vor allem eine »männliche« Fähigkeit sei und empfinden den jüdischen Geist als »zersetzend« – als einen Angriff auf hierarchische Strukturen, die allen Mitgliedern der Gesellschaft ihren Platz zuweisen. Der Sexualtrieb ist verbunden mit dem Machttrieb. Da das Judentum weibliche Sexualität als eine spirituelle Richtschnur zulässt, fühlt jeder, der Macht und Herrschaft ausschließlich mit Männlichkeit verbindet, in der jüdischen Geisteshaltung sein Weltbild intuitiv bedroht.
Das Wirken des Weiblichen im Judentum ist Ausdruck einer grundsätzlich emanzipatorischen Tendenz. So wie Gott die Israeliten aus der Knechtschaft herausgeführt hat, so wie sich in der Hebräischen Bibel das kleine davidische Reich zwischen den Großmächten Ägyptens und Mesopotamiens behauptet, so wie der Talmud Grundlagen bietet, sich als Minderheit in Mehrheitsgesellschaften zu behaupten – genauso wirkt das Elixier des emanzipierenden Gottes auch in die heutige Zeit hinein.
Wenn die Gleichberechtigung der Frau nur darin besteht, dass Männer den Frauen Rechte zugestehen, bleibt dies meiner Meinung nach eine zu schwache Grundlage. Die erteilten Rechte können schließlich – sollten
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