Wie ich Rabbinerin wurde
annimmt. Sandra Lustig und Ian Leveson, die maßgeblich an der Organisation dieses Ereignisses mitgewirkt haben, werden die Beiträge dieses Kongresses später in einem Buch herausgeben:
Turning the Kaleidoscope. Towards a European Jewish Identity.
Ich moderiere eine der Diskussionen und lerne eine Reihe von Menschen kennen, die in anderen europäischen Ländern versuchen, das jüdische Leben mit neuen Impulsen anzutreiben. Außerdem regt mich der Kongress an, eine Erneuerung jüdischen Lebens nicht nur unter religiösen, sondern verstärkt auch unter kulturellen und politischen Gesichtspunkten zu sehen.
Etwas länger gibt es schon die jüdische Künstlergruppe
Meshulash
. Im Rahmen der jährlichen Jüdischen Kulturtage lädtsie im November 1998 zu einer ersten großen avantgardistischen Ausstellung mit dem Titel
Davka! Jüdische Visionen in Berlin
ein. Anna Adam, Michael Frajman, Gabriel Heimler und Hartmut Bomhoff sind die treibenden Kräfte hinter diesem viel beachteten Ereignis, das seinen Ort im ehemaligen jüdischen Waisenhaus in Berlin-Mitte, dem
Ahawa
-Gebäude, hat. In der anlässlich der Ausstellung veröffentlichten gleichnamigen Dokumentation heißt es: »Gedenktafeln und Sonntagsreden, Polizeischutz und immer wieder Klezmermusik: von außen betrachtet findet jüdisches Leben heutzutage mit Sicherheitskontrollen und auf vereinzelten Festivals statt. Für junge Jüdinnen und Juden, die in Berlin groß geworden oder bewusst in diese Stadt gezogen sind, stellt sich das Bild ganz anders dar. Wir sind in der Diaspora zu Hause und wollen an Debatten anknüpfen, die in den 30er Jahren gewaltsam abgebrochen wurden. Wir mischen uns ein, wenn unserer ermordeten Großeltern gedacht oder eine lebendige Tradition zum Museumsstück gemacht wird, und finden eigene Wege.«
Etwa ein Dutzend jüdischer Künstler aus Berlin nimmt an dieser Ausstellung teil. Es können auch nichtjüdische Künstler mitmachen, die auf irgendeine Weise mit zum jüdischen Leben gehören. Meine Nachbarin, die Künstlerin Roswitha Baumeister, und ich bauen eine Installation für diese Ausstellung. »Nachbarschaft« ist unser Thema. Seit fast elf Jahren wohnen wir auf derselben Etage in einem Haus in Berlin-Schöneberg und haben uns gegenseitig inspiriert. Sie mich – mit ihren Lichtprojektionen von Göttinnen, Dämoninnen und Herrscherinnen, aber auch als Tochter eines Organisten und Komponisten für Kirchenmusik. Ich sie – da ich inzwischen in der Mitte des jüdischen Lebens in Berlin angelangt bin und versuche, dem neuen Aufbruch im Gemeindemagazin
jüdisches berlin
einen Ort der Auseinandersetzung zu bieten. Unsere Installation besteht aus zwei Haustüren. Auf eine Seidenwand dazwischen projizieren wir einen ineinander übergehenden Tanz von Dias, der unsere gegenseitige Anregung ausdrückt, begleitet von Zitaten der Dichterinnen Nelly Sachs und Gertrud Kolmar,die ebenfalls in Berlin-Schöneberg gelebt haben. Unsere Installation heißt »Spion und Judasauge« – zwei Begriffe für die Gucklöcher in den Berliner Wohnungstüren. In unserem Text im Katalog
Jüdische Visionen in Berlin
schreiben wir: »Unsere Vision ist im Alltag angesiedelt – in der gelebten Nachbarschaft, im Anerkennen von Unterschieden, im Sehen von Gemeinsamkeiten, aber auch in der Möglichkeit, dass sich jede wieder zurückziehen kann und keinem Druck der Vereinnahmung, Vereinheitlichung ausgesetzt ist.«
Durch die Ausstellung lerne ich viele jüdische Künstler kennen, zum Beispiel Anna Adam, deren provokative Werke unter dem Titel »Feinkost Adam« später einen Skandal im jüdischen Leben Deutschlands provozieren werden: Pavel Feinstein mit seinen halb nackten Körpern von Jüdinnen und Juden in traumähnlichen, surrealistischen Bildern, Silvia Dzubas mit ihren »Blautoren«, die sowohl in die Tiefen der Wasser als in die Höhen der Himmel führen, Dodi Reifenberg mit seiner Gegenüberstellung des
Aleph
(erster Buchstabe des hebräischen Alphabetes) und des Hakenkreuzes, Flori Reifenberg mit seinen Klanginstallationen in drei Kühlschränken: einem »milchigen«, einem »fleischigen« und einem »schweinischen«, und René de Roze mit seinen Berliner Briketts, auf die er goldene hebräische Buchstaben gemalt hat. Am Rande der Ausstellung lerne ich auch die Sängerin Jalda Rebling kennen, die damals an ihrer ersten CD über jüdische Musik im Mittelalter arbeitet und mit der ich inzwischen viele gemeinsame Gottesdienste in Berlin und anderen Städten in
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