Wie ich Rabbinerin wurde
den »Jews for Jesus«, angehörte.
Von den insgesamt 55 Kandidaten werden 21 in die Repräsentantenversammlung gewählt. Ich schaffe es nicht, erreiche aber Platz 24, was ich für eine »Newcomerin« wie mich dennoch als einen Erfolg bewerte. Die Themen, die ich in den Veranstaltungen eingebracht habe, haben dem Ergebnis nach bei einem nicht zu unterschätzenden Teil der Wähler Anklang gefunden.
Als Wahlsieger und neuer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde geht Andreas Nachama hervor. Er bildet einen Vorstand, dem unter anderem auch Mitglieder der bislang oppositionellen
Demokratischen Liste
angehören. Es ist der erste Vorstand, der ausschließlich aus Juden besteht, die nach der
Schoa
geboren sind. Von ihm geht für viele Gemeindemitglieder, wie auch für mich, augenblicklich eine neue Signalwirkung aus.
Ich habe Andreas Nachama, den Sohn des berühmten Kantors Estrongo Nachama, erst kurz zuvor bei einer äußerst symbolträchtigen Begegnung kennen gelernt. Einen Tag vor den Wahlen veranstaltet der Jüdische Kulturverein einen Jüdischen Runden Tisch, zu dem verschiedene Gruppen aus Deutschlandnach Berlin reisen. Irene Runge bittet mich, die Tora-Lesung während des Schabbat-Morgengottesdienstes zu übernehmen. Dort treffe ich zu meiner Überraschung auf Andreas Nachama. Er leitet den Gottesdienst. Zusammen stehen wir während der Lesung am Pult. Wieder macht einer im Saal unbemerkt ein »historisches« Foto, das Nachama und mir wenige Tage später zugespielt und uns die nächsten Jahre verbinden wird.
7. Rabbinerinnen
E uropäische Rabbinerinnen? Wen wollt ihr denn da einladen? Es gibt doch außer Bea Wyler in Oldenburg und ein paar anderen in England gar keine. Euch wird nichts anderes übrig bleiben, als Rabbinerinnen aus Amerika nach Berlin zu holen.« Andreas Nachamas Kommentar echot mir noch hinterher, als Lara Dämmig, Rachel Herweg und ich abermals überlegen, ob eine europäische Rabbinerinnentagung in Berlin überhaupt möglich wäre. Seit 1995 ist Bea Wyler Rabbinerin in Oldenburg. Ansonsten wissen wir noch von der einen oder anderen Rabbinerin in Großbritannien, die am
Leo Baeck College
studiert hat. Aber sonst?
Wir bleiben dabei, dass wir eine europäische Tagung halten wollen. Israelinnen und Amerikanerinnen sind herzlich willkommen. Aber wir wollen ein eigenes Zeichen setzen – ein europäisches – und uns nicht wieder schlecht fühlen, wenn wir von den anderen gesagt bekommen, was uns alles in Deutschland, in Europa, fehlt – wie wir letzten Endes doch nur in Ruinen leben.
Es ist das Jahr 1998. Seit einigen Monaten bin ich Pressereferentin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Ich arbeite eng mit dem neuen Vorsitzenden zusammen – erlebe eine historische Phase, in der Andreas Nachama neue Akzente setzt. Ein solcher Akzent ist das Gemeindemagazin
jüdisches berlin
, das ich als verantwortliche Redakteurin entwickelt habe und nunmehr leite. Erstmals schreibt nicht der Vorsitzende und auch nicht der Vorstand vor, was in dem Gemeindemagazin zu stehen hat, sondern bekommen die verschiedenen Gruppierungen undGemeindepersönlichkeiten darin ein Forum – orthodoxe Juden genauso wie liberale; deutsche, mittel- und osteuropäische Juden genauso wie die neuen Gemeindemitglieder aus den GU S-Staaten ; religiöse Juden genauso wie säkulare; die alte Generation genauso wie die junge;
Schoa
-Überlebende genauso wie Veteranen der Roten Armee, Israelis genauso wie Amerikaner.
Der neue Geist trägt schnell Früchte. Es finden Menschen den Weg in die Gemeinde, die sich zuvor von ihr abgestoßen gefühlt haben. Eine seit noch nicht langer Zeit existierende Gruppe von jüdischen Intellektuellen:
Gesher – Forum für Diaspora-Kultur
, veranstaltet 1998 einen Kongress mit dem provokativen Titel
Galut 2000
. »Galut« ist das hebräische Wort für »Diaspora«. Die Vorträge finden im
Centrum Judaicum
statt, einstiges Wahrzeichen des deutschen Judentums vor der
Schoa
und Symbol der Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland nach 1989. Es ist der erste Kongress, der allein schon im kühnen Unterton seines Titels die europäisch-jüdische Diaspora positiv versteht. Während des Kongresses spricht unter anderem Diana Pinto, eine Soziologin aus Paris, die dem Publikum die Herausforderungen für ein eigenständiges europäisches Judentum – gegenüber Israel und den USA – skizziert, ein Judentum, das die gesellschaftspolitischen Herausforderungen eines zusammenwachsenden Europas
Weitere Kostenlose Bücher