Wie ich Rabbinerin wurde
Debora
in Berlin, haben Lara und ich die 1936 erschienenen Gebete neu herausgegeben und aus heutiger Sicht kommentiert. Ich spreche die Zeilen bewusst in Deutsch. Die Rabbiner im Raum halten den Atem an. Deutsch ist immer noch eine Tabusprache – auch unter den Juden Amerikas. So hören sie:
Nur nicht blind werden – mit der Seele nicht,
dass ich nicht mehr sähe,
was klein was groß,
was eng was weit,
was ragend was tragend,
was leuchtend im ewigen Licht.
Nur nicht blind werden – mit der Seele nicht!
(10. Dezember 1929)
Nicht lange später feiere ich meine Ordination mit einem kleinen Gottesdienst im Jüdischen Museum Berlin. Es kommen zu dieser Feier all die Menschen, die mich in den vergangenen Jahren begleitet haben: Jalda Rebling, die inzwischen eine Ausbildung als Kantorin im
Aleph-Programm
macht und bei meiner Feier singt, die Frauen von
Bet Debora
und von
Sarah-Hagar
, einer jüdisch-muslimisch-christlichen Initiative, die ich mit initiiert habe, Politikerinnen wie Barbara John, Marie-Luise Beck oder Carola von Braun, mit denen ich manche gemeinsame politische Aktion veranstaltet habe, Journalisten von der
taz
, dem
Tagesspiegel
und verschiedenen Radio- und Fernsehsendern, Autoren des
jüdischen berlin,
Mitglieder der Synagoge OranienburgerStraße, die Leute von
Meshulash
und andere Freunde aus der Jüdischen Gemeinde, Micha Brumlik, der mich maßgeblich religionsphilosophisch inspiriert hat, die Programmdirektorin des Jüdischen Museums, Cilly Kugelmann, sowie die ehemalige Kulturdezernentin der Berliner Jüdischen Gemeinde, Norma Drimmer, außerdem Rabbinerin Gesa Ederberg, Rabbiner Andreas Nachama, Rabbiner Peter Nathan Levinson und mein Vater.
Der Tora-Wochenabschnitt ist
Wajakhel (Ex. 35 – 38:20)
, der den Bau der beiden Engel, der
Kerubim
, durch den Künstler Bezalel beschreibt. Sie stehen später im Allerheiligsten des Tempels und haben rechts und links über der Bundeslade mit den Zehn Geboten die Flügel ausgebreitet. Zwischen ihnen, so die Vorstellung, weilt die
Schechina
, die göttliche Präsenz. Als die römischen Soldaten das Heiligtum zerstören, soll die
Schechina
zwischen den
Kerubim
aufgestiegen, sich über den Tempelbezirk und dann über Jerusalem ausgebreitet haben und schließlich mit allen Juden ins Exil gezogen sein. Im Talmud steht:
Es wird gelehrt: R. Simon bar Jochaj sagte: Komm und sieh, wie beliebt die Israeliten sind beim Heiligen, gepriesen sei er, denn wohin sie auch verbannt wurden, war die Schechina immer bei ihnen. Wurden sie nach Ägypten verbannt, war die Schechina bei ihnen, denn es heißt: »Ich habe mich deinem Vaterhause offenbart, als sie in Ägypten waren.« Wurden sie nach Babylonien verbannt, war die Schechina bei ihnen, denn es heißt: »Um euretwillen wurde ich nach Babel entsendet.« Und auch wenn sie dereinst erlöst werden, wird die Schechina bei ihnen sein, denn es heißt: »
JHWH
, dein Gott wird mit deinen Gefangenen zurückkehren.« Es heißt nicht [er wird die Gefangenen] »zurückbringen«, sondern [mit ihnen] »zurückkehren«, und dies lehrt, dass der Heilige, gepriesen sei er, mit ihnen aus dem Exil zurückkehren wird. Wo weilt sie in Babylonien? Abaje erwiderte: Im Bethausevon Huzal und im zerstört gewesenen und wieder errichteten [mit Steinen von Ruinen aus Jerusalem erbauten] Bethause zu Nehardea.«
(Megilla 29a)
Möge ich mein Bestes geben, zusammen mit meinesgleichen aus den Ruinen des europäischen Judentums wieder eine Tradition zu errichten, aus der noch viele Rabbiner und Rabbinerinnen hervorgehen, Schüler und Schülerinnen sowie Schüler und Schülerinnen der Schüler und der Schülerinnen – hier und überall.
Rabbinerin nicht nur für den Schabbat
I ch wusste, dass es nicht einfach werden würde. Eine Anstellung als Gemeinderabbinerin, auf die die Fragen vieler meiner Bekannten immer wieder hindrängten, erschien unmittelbar nach meiner Ordination kaum denkbar. Gut – die Oldenburger Jüdische Gemeinde hatte 1995 mit Bea Wyler als erster Rabbinerin in Deutschland nach der
Schoa
einen Anfang gemacht. Aber Bea Wyler gehörte der
Masorti
-Richtung an, deren Erscheinungsbild von allen liberalen Ausrichtungen dem orthodoxen Judentum am nächsten kommt: der jüdische Ritus wie gehabt, mit dem formellen, mehr oder weniger nur äußerlichen Unterschied, dass Frauen diesen Ritus gleichberechtigt ausüben und im Gottesdienst
Tallit
und
Tefillin
tragen. Das war mir, der es um eine inhaltliche Erneuerung
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