Wie ich Schriftsteller wurde
Tschuldigung!“
Scheiße, warum starten auch TFTs so irre schnell. Ich hechte
wie ein Handball-Torwart zum Rechner, komme aber deutlich zu spät. Paula hat
sich schon wieder gefangen. „Noch immer … dasselbe Problem?“ fragt sie mit
einer Stimme, die mich völlig irritiert. Das Machoschwein in mir ist alarmiert,
es sagt, schnapp sie dir, zieh die Mitleidmasche durch, mit der kannst du das
bringen, nur keine Hemmungen…
Aber da ist ihre Stimme, die irgendeine Saite in mir zum
Klingen gebracht hat, die noch nie erklungen ist. Schwingt in dieser Stimme so
etwas wie echtes Interesse an meiner Person mit, und das bei so einem heiklen
Thema? Ich trete dem inneren Machoschwein in den Arsch und bringe es zum
Schweigen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es hier um wichtigere Dinge geht
als um eine miese Mitleids-Nummer.
Jetzt sitzt sie auf meinem Bürostuhl vor dem Rechner, vor
sich gut 24 nackte Ärsche, und sieht mir mitten ins Gesicht. Kein Ekel, kein
Vorwurf, nichts als aufmerksame Mitmenschlichkeit. Ausgerechnet jetzt platzt
Benno herein. Er erfasst die Situation mit einem Blick oder besser, er glaubt
sie zu erfassen, und es bricht aus ihm heraus:
„Oh Mann, was geht denn hier ab! Da komme ich ja gerade
richtig!“
In diesem Moment verfluche ich die Tatsache, dass ich
ausgerechnet an meinem Studienort geblieben war. Ich verfluche diesen
Sachverhalt so sehr, wie ich ihn zuvor gefeiert habe, und ich wünsche mich nun
in die tiefste Provinz, wo es keinen Benno und auch keinen anderen meiner
Knalldeppenfreunde gibt, die stören könnten, und vor allem wünsche ich mich
genau in diese unglaubliche Situation zurück, die Benno so gekonnt zerlegt hat.
Aber Augenblicke lassen sich nicht zurückholen, schon gar
nicht solche, und schon steht Paula in der Tür, jetzt mit rotem Gesicht, und
sagt nur:
„Ich geh mal lieber!“
In diesem Augenblick hätte ich Benno ermorden können. Will ich
insgeheim einen Mordfall in meinem Roman?
Red Killer ist wieder frei
Was ist da gestern eigentlich abgegangen? Was ist da
zwischen dieser Kindergärtnerin und mir für einen winzigen Moment geschehen?
Sollte ich mich …
Ich wische die bedrohlichen Gedanken fort, greife mir eine
Bifi und eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und macht mich auf dem
Fernsehsessel lang. Schriftstellers Standardnahrung. Natürlich penne ich ein. Schriftstellers
Standardtraum: Frauen. Mir fällt ausgerechnet Jasna ein. Nicht dass ich
begeistert bin, von ihr zu träumen, ich träume einfach so vor mich hin. So weit
ist der menschliche Organismus noch nicht, das Traumprogramm ist noch zufällig,
das Kabelfernsehen ist uns da um Längen voraus.
Astrophysiker in aller Welt suchen nach der dunklen Materie,
die das All durch ihre Masse zusammenhält – bisher ohne Erfolg. Wenn ich
allerdings an Jasnas Handtasche denke und an ihre unergründlichen Tiefen und an
das erstaunliche Gewicht, das ich zu tragen hatte, als ich sie (die Tasche,
nicht Jasna) bei unserem einzigen Date ein einziges Mal in meinen Händen hielt,
dann weiß ich, wo der Großteil dieser Rätselsubstanz zu finden ist – in den
Handtaschen von Frauen.
Wir trafen uns am Rheinufer und halten durfte ich ihr ganz
persönliches Allerheiligstes, als sie ins Wasser sprang, um Red Killer zu
retten, ihren Goldfisch, dem sie Augenblicke zuvor die Freiheit geschenkt hatte
in dem Wunsch, ganz und gar ungebunden zu sein. Das war an dem Tag, als sie
sich von Marc oder Marcel oder Markus getrennt hatte (so genau konnte ich das
in dieser Mischung aus Heulen und Fluchen nicht verstehen) oder besser gesagt,
er sich von ihr, und weil sie künftig jedwede Bindung meiden wollte. Red Killer
wird sich gewundert haben, als er sich plötzlich statt in seinem kuscheligen
Goldfischglas in den kalten, von Chemie durchseuchten Fluten eines
mitteleuropäischen Stromes wieder fand, und sicher kostete es ihn fast den
Verstand, als kurz darauf Frauchen Jasna ebenfalls in die Fluten tauchte und
hysterisch nach ihm grapschte. Red Killer hatte aber die Nase voll von den
Launen der Weiber und zog es vor, sich zur Mündung seines Stromes in die
Nordsee treiben zu lassen, wo er vielleicht die Chance erhalten würde, als
Lachs Karriere zu machen.
Jasna tauchte kurz darauf schnaubend wie eine Seekuh auf,
sah ganz und gar ungünstig und unglücklich und unterkühlt aus und pflaumte mich
an, was ich mit ihrer Tasche mache und was ich mir erlaube und so weiter und so
fort
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