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Wie immer Chefsache

Wie immer Chefsache

Titel: Wie immer Chefsache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Ruetter
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erst mal zu arbeiten, dann rechtzeitig mit Mina in den Park zu verschwinden und erst eine halbe Stunde nach Beginn des Kaffeetrinkens wieder zurückzukommen. Das waren dreißig gesparte Minuten. Astrid schien etwas von seinen Plänen zu ahnen, denn kaum erschien er mit Mina vor der Tür, kam seine Nichte Meike mit schleppenden Schritten und mit einem Ausdruck vollkommener Genervtheit, zu dem sie mit ihren sechzehn Jahren auf dem Höhepunkt ihres Könnens war, auf ihn zu. »Mama sagt, ich soll dich an 16 Uhr erinnern. Oma und Opa sind da und du sollst nicht zu spät kommen«, leierte sie herunter und fügte, vom Unrecht der Welt getroffen, hinzu: »Und sie macht mich dafür verantwortlich und sagt, ich krieg den Ärger, wenn du das nicht machst.« Empört blickte Mattes zum Küchenfenster, hinter dem er seine Schwester vermutete. Was für eine Psychoterroristin!
    »Sag deiner Mutter, sie kann mich mal!«, raunzte er sauer.
    Meike reagierte überraschend schnell, formte die Hände zu einem Trichter und schrie mit großer Genugtuung in Richtung Haus: »Mama, Mattes sagt, du kannst ihn mal!«
    Im ersten Stock öffnete sich das Badezimmerfenster, was Mattes verwirrte, denn er hatte nicht gedacht, dass das eben falls ein strategischer Beobachtungsposten seiner Stasi- Schwester sein könnte, und Astrids roter Kopf erschien in der Öffnung. Sie brüllte: »Nimm deinen Hund vom Rasen! Wenn ich den da noch einmal sehe, fahr ich ihn nach Spanien und bind ihn eigenhändig an der Autobahn an!«
    Mattes rief nach oben: »Reg dich ab!«, und pfiff Mina vom Rasen. Er hörte, wie Astrid im Haus rief: »Godehard. Der Köter hat schon wieder ein Loch gebuddelt.«
    Grinsend und mit sich und der Welt kurzzeitig zufrieden, nickte Meike Mattes verschwörerisch zu und schlenderte ins Haus zurück.
    An der Tür wich sie ihrem Vater aus, der, von Astrid getrieben, in den Garten kam, um für Ordnung zu sorgen. Schmal und fast hager, in schwarzer Stoffhose und perfekt gebügeltem Hemd, gab er auf den ersten Blick eine korrekte Erscheinung ab, die aber durch die fehlende Körperspannung beeinträchtigt wurde. Obwohl er eine übermäßig gerade Haltung hatte, blieb ein Eindruck der Schlaffheit, der sich bei seinem Händedruck nur bestätigte, den man im Übrigen nicht wirklich als Druck bezeichnen konnte, weil er beim Gegenüber das Gefühl auslöste, einen toten, kalten Fisch in die Hand gelegt zu bekommen. Mattes dachte beim Anblick seines Schwagers immer an eine Marionette, die an Fäden aufgehängt war und nur durch diese Haltung bekam. Und dass oben an Godehards Spielkreuz Astrid stand und die Fäden nach ihrer Vorstellung bewegte, war ihm auch klar.
    Dass Godehard am heutigen Tag keine Krawatte zum Hemd trug, war ein sicheres Zeichen für Wochenende. Ohne Krawatte lief er nur an den Wochenenden herum, wenn er ausdrücken wollte, dass er jetzt Freizeit hatte und ein Privatmensch war. Noch weniger Korrektheit war nur im Urlaub gestattet. Mattes hatte ihn mal auf Urlaubsfotos nicht erkannt, auf denen Godehard in kurzer Hose, kariertem Hemd und beinahe lässiger Haltung zu sehen war. Erstaunt hatte er Astrid gefragt, wer der Mann vor dem Boot sei, der sein Gesicht so starr in Richtung der Kamera hielt. Astrid hatte es für einen Scherz gehalten und gelacht, und dieses Gelächter hatte Mattes erst auf die Möglichkeit gebracht, dass es Godehard sein könnte. Entschuldigend hatte er es auf die Sonnenbrille geschoben, die auf den Bildern Godehards Gesicht verdeckte, und er hatte fasziniert auf die dünnen, kalkweißen Beine seines Schwagers gestarrt, die er nie zuvor gesehen hatte. Nur an der winzig kleinen Kniescheibe konnte man überhaupt erkennen, dass es echte Beine waren und sie nicht von Käpt’n Ahab oder aus einer Ikea-Selbstbaulinie stammte. Tagelang hatte er sich danach gefragt, ob er richtig gesehen hatte, dass Godehard auf den Bildern keine grauen Socken trug, sondern dass seine nackten Füße tatsächlich einfach so in den Schuhen steckten. Godehard ohne Socken – unvorstellbar! Immerhin hatten sogar die karierten Urlaubshemden perfekte Bügelfalten an den vorgeschriebenen Stellen und sahen aus, als ob ihnen nur durch ein Versehen die Krawatte fehlte.
    Für die wie mit dem Lineal gezogenen Bügelfalten auf den ansonsten makellos glatten Oberhemden kam einmal in der Woche eine eigens dafür engagierte Bügelfrau ins Haus, nachdem Astrid zu Beginn ihrer Ehe monatelang fluchend an ihrem eigenen Perfektionismus-Anspruch gescheitert war

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