Wie Jakob die Zeit verlor
ob er sich gegen das Unvermeidliche stemmen oder ob er Arne einfach gehen lassen wird. Zwei, drei Stunden hat er über dieser Frage gebrütet, den größten Teil des Vormittags, während er im Büro der Gärtnerei über den Bestellungen und der Buchhaltung saß. Schließlich hat er das Buchhaltungsprogramm des PCs abgebrochen, die Gärtnerei erneut früher als gewöhnlich verlassen und die fragenden Blicke von Ahmed und Karsten ignoriert. Ruhelos ist er umhergelaufen und durch die Einkaufsstraßen der Stadt geschlendert, hat drei Straßenmusikern zugehört, die in einer Fußgängerpassage irische Folklore spielten. Danach hat er bei C&A Herrenunterwäsche begutachtet, obwohl sein Vorrat an Unterhosen völlig ausreichend ist, und schließlich hat ihn die Furcht vor dem Ende der Freundschaft mit Arne ins Pornokino getrieben. Was auf den ersten Blick ein wenig widersinnig erscheint, denn es geht Jakob gar nicht um Sex, um den kurzen Rausch der Triebbefriedigung. Es geht nicht darum, es Arne heimzuzahlen. Und was wäre das auch, was er ihm heimzahlen wollte? Das Ende seiner Geduld? Er ist noch nicht einmal hier, um sich einen runterzuholen, das hätte er zu Hause vor dem Computer sehr viel schneller erledigen können.
Tatsächlich ist er hier, weil er die flackernde Dunkelheit schon immer gemocht hat. In seiner Jugend, ja, da war ein Pornokino für ihn ein Ort der Wunder und Gefahren, an dem er verbotenen Dingen begegnen konnte, die erprobt und erkundet werden wollten. (Aber hat er sich damals nicht auch an der Anonymität, der Reduzierung auf das Triebhafte gestört?) Die Erinnerung an diese Zeit schwingt noch immer in seinem Hinterkopf nach, wenn er an der Kasse den Eintritt bezahlt, die Tür zum Hinterzimmer aufstößt und sich vom Nichts aufsaugen lässt. Heutzutage betritt er diese Läden, weil ihm die Dunkelheit ein Gefühl der Sicherheit vermittelt; sie nimmt ihn an, wie er ist, er kann sich in sie fallen lassen und ausruhen. Die Schwärze umgibt ihn wie ein seidiger Kokon, warm und schattig, und gaukelt ihm vor, noch nicht alt und verbraucht zu sein, noch immer begehrenswert.
Jakob hat in der hintersten Reihe ganz außen Platz genommen, direkt neben der Wand. Mit dieser Sitzwahl signalisiert er, dass er nicht an Kontakten interessiert ist, und sie bietet den Vorteil, das Geschehen um ihn herum immer im Blick zu haben. Es ist nicht viel los, ein paar ältere Männer – sogar älter als er, registriert er mit einer gewissen Befriedigung –, sitzen verstreut vor dem Bildschirm, springen nach ein paar Minuten ruhelos auf, taxieren die anderen Kinobesucher, fassen sich wie zufällig an den Schritt, laufen herum, nehmen auf einem anderen Plastikstuhl wieder Platz. Trotz des Rauchverbots glimmen mehrere Zigaretten im Dunkeln, hastig wird Nervosität eingeatmet und Männlichkeit vorgetäuscht. Von der Klappe dringt unterdrücktes Stöhnen nach vorne, dann das Rauschen der Klospülung.
Auf der Leinwand treiben es zwei amerikanische Pornostars. Ihre glatten, muskulösen Körper reiben sich aneinander und lügen dem Zuschauer Ekstase vor, während ihre gelangweilten Gesichter das Gegenteil verraten. Nacheinander fängt die Kamera drei Paare ein, die sich nach immer demselben Schema miteinander beschäftigen: Zuerst knutschen und befummeln, anschließend blasen und dann ficken, zum Schluss ein Cumshot in Nahaufnahme. Jakob unterdrückt ein Gähnen; er begreift nicht, wer sich an solchen Filmen erregen kann. Früher konnte man den Darstellern ansehen, dass sie Spaß hatten beim Dreh: Dick Fisk, Jack Wrangler oder Peter Berlin. Jakob meint sich zu erinnern, die Lust, die Geilheit in ihren Mienen erkannt zu haben, eine Geilheit, die sich dann auch regelmäßig auf ihn übertrug. Aber die mussten auch noch nicht mit Gummi vögeln, vielleicht erklärt das im Nachhinein ihren Spaß am Sex. Jakob jedenfalls hat mit Präservativ noch nie Spaß gehabt. Zu Arne hat er damals gesagt – als sie noch miteinander geschlafen haben, doch selbst da hat er den Sex mit ihm als seltsam unzulänglich empfunden –, dass er Schwierigkeiten mit einem Gummi hat, weil er zu einer Zeit schwul sozialisiert wurde, als man noch keinen Schutz brauchte. Daher sei der Latexüberzug für ihn ein Zeichen der Verhinderung von Nähe – mal ganz davon abgesehen, dass ein Schwanz mit Gummi für ihn immer wie eine Presswurst aussieht. Auf Arnes Frage, wie er sich dann erkläre, dass er, Arne, keinerlei derartigen Probleme habe, immerhin habe er sein
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