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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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wegekelt.“
    „Armer Marius“, sagte Jakob leise und streichelte ihm den Nacken.
    Ein Schauer lief über Marius’ Rücken, und er hielt den Atem an. „Du machst mich geil“, protestierte er halbherzig.
    „Nur weil ich dir mit der Hand über den Nacken gehe? Kann ja wohl nicht sein.“ Er rollte sich herum, legte sich auf Marius und küsste ihn.
    „Nicht.“ Marius drehte den Kopf zur Seite. „Nicht hier.“
    „Warum nicht? Glaubst du, die Erde tut sich auf und das Haus versinkt, nur weil wir es miteinander treiben?“
    „Ich kann nicht. Meine Mutter könnte hereinkommen.“
    „Ich komme mir vor wie ein Teenager“, brummte Jakob und rollte sich wieder von Marius herunter.
    „Tut mir leid.“ Marius streckte seinen Arm aus und zog ihn in eine Umarmung.
    „Vergiss es.“ Jakobs Stimme klang schnippischer, als er es eigentlich meinte. „Ich kann mich auch beherrschen.“
    Marius lachte.
    „Was?“
    „Du hast gerade geklungen wir Alexis Colby.“
    Jakobs Hände fuhren an Marius’ Körper entlang und blieben an den Knöpfen seiner Hose hängen. „Du hast eine Latte!“, sagte er mit einem beschuldigenden Gesichtsausdruck. Nur wenige Handgriffe und er hatte die Jeans geöffnet.
    „Jakob! Nicht!“
    „Nur ein bisschen blasen!“
    „Dann schließ wenigstens die Tür ab!“, gab sich Marius geschlagen.
    Jakob sprang auf und war sofort wieder zurück auf dem Bett. „Los, hol ihn raus!“, sagte er mit blitzenden Augen. „Jetzt bin ich auch rattig.“
    „Aber wehe, du stöhnst! Kein Mucks, hast du verstanden?“
    „Ich stöhne nie!“, empörte sich Jakob.
    „Von wegen. Du schreist manchmal die ganze Nachbarschaft zusammen.“
    „Dann musst du mir wohl deine Unterhose ins Maul stopfen“, grinste er.
    „Aber dann kannst du mich nicht blasen!“
    „Dann wirst du mich wohl ficken müssen.“
    Später, als Marius das Fenster geöffnet hatte und der Wind die weiße Gardine wie das feingemusterte Spitzenkleid einer Braut aufblähte, konnten sie das Knarren einer Treppenstufe hören.
    „Scheiße“, zischte Jakob. „Glaubst du, sie hat gelauscht?“
    „Ich hab doch gesagt, ich will hier keinen Sex mit dir“, erwiderte Marius ungehalten. Die Farbe, die die vorangegangene Anstrengung in seine Wangen getrieben hatte, war einer verunsicherten Blässe gewichen. Schweigend verfolgten sie die sich entfernenden Schritte. Marius fühlte Jakobs Hand auf seinem Herzen. „Du?“, flüsterte er. „Ich liebe dich.“

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    Draußen scheint die Sonne. Es ist warm und die Menschen genießen dieses Fragment des Sommers, das auf dem Rücken eines Azorenhochs unerwartet seinen Weg in den April gefunden hat. Die Eisverkäufer haben plötzlich Hochkonjunktur, und in den Straßencafés sitzen die Menschen zum ersten Mal in diesem Frühling in T-Shirts und lüften die bleiche Winterhaut. Nur Jakob hat es in ein stickiges, etwas schmuddeliges Pornokino getrieben. Clinton ist inzwischen seit einigen Tagen bei ihm zu Hause, und Jakob ist noch immer verstimmt über Arnes Reaktion beim Auftauchen des Katers. „Du hast sie doch nicht mehr alle.“
    Keine Frage: Jakob weiß, dass sie auseinanderdriften, dass ihre Wege sich mehr und mehr trennen, dass sich ihre gemeinsame Zeit dem Ende nähert. Als wäre alles gesagt, was sie sich je zu sagen gehabt hätten. Als wäre alles gelebt, was sie je zusammen erleben wollten. Langsam, mit jedem Tag ein wenig mehr, verwandeln sie sich in Fremde, die der Anwesenheit des anderen überdrüssig geworden sind, seine Gesten und Blicke missdeuten, kein Verständnis mehr aufbringen für das, was den anderen beschäftigt. Jakob beobachtet diese Entwicklung mit einer fast wissenschaftlichen Distanz und einer Nüchternheit, die ihn selbst erschreckt. Natürlich will er nicht, dass ihre Beziehung zu Ende geht, aber er fühlt sich außerstande, etwas dagegen zu unternehmen. Es würde einen Kraftakt erfordern, zu dem er sich nicht entschließen kann. Er müsste sich ändern – und der Besuch der Therapiestunden bei Silky Legs ist in seinen Augen ein Zeichen seines guten Willens –, aber er bezweifelt, dass er das kann. Er ist, was er ist, weil die Vergangenheit ihn so geformt hat. Sie ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, prägt seine Verhaltensmuster und wie er denkt und fühlt. Ebenso gut könnte Arne von ihm verlangen, sich einer Gehirnwäsche zu unterziehen, sein Innerstes brechen zu lassen, neu zu formen und dann wieder aufzubauen.
    Jakob weiß nicht, was er tun wird, wenn es so weit ist,

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