Wie Jakob die Zeit verlor
seine Jugend, auf die Unbekümmertheit, mit der der Junge durchs Leben geht? Aber das ergibt keinen Sinn. Dann wäre er neidisch auf jemanden, der sich damit durchschlägt, seinen Körper zu verkaufen. Andererseits – Philip scheint damit keine Probleme zu haben. Vielleicht ist es tatsächlich nur ein Job wie jeder andere auch? Vielleicht ist er von dem Jungen deshalb so fasziniert, weil er seine Vorurteile über den Haufen wirft. Weil jedes Treffen eine Überraschung bereithält.
„Komm mit ins Bad“, sagt Jakob, nachdem er Philip zu Hause die Treppen hochgeholfen hat. „Wir müssen dich erst mal verarzten.“
Die Verletzungen sehen schlimmer aus, als sie sind. Das Auge ist zwar mittlerweile zugeschwollen, aber Jakob glaubt nicht an bleibende Schäden. Auf Philips Oberschenkel ist ein faustgroßer Bluterguss zu sehen, wo ihn der Schuh des Angreifers getroffen hat. Jakob holt eine Salbe gegen Sportverletzungen und Stauchungen aus seinem Medikamentenschrank und drückt sie Philip in die Hand.
Der Junge nickt zu den Medikamentendosen und Schachteln, die sich in dem Schrank stapeln. „Sind die alle für dich? Gegen … HIV?“
„Ja.“
„Krass. Das sind so viele.“
„Die meisten sind gegen die Nebenwirkungen“, erklärt Jakob ungeduldig. „Übelkeit, Schlafstörungen, Pilzinfektionen, Magenprobleme. Und jetzt setz dich endlich hin!“ Während der Junge auf dem Klodeckel hockt, tupft er ihm die Lippe mit Desinfektionsmittel ab.
„Autsch!“
„Halt still, dann dauert es auch nicht so lange! Musst du keine Medikamente nehmen?“
Philip zuckt mit den Schultern. „Ich schätze nicht. Ich fühl mich gut. Wieso?“
Jakob richtet sich auf. „Wann warst du zum letzten Mal bei einer Blutkontrolle?“
„Ich hab keine Krankenversicherung, wie soll ich da zu einer …“
„Du hast keine Krankenversicherung?“, fragt Jakob entsetzt.
„Mann, ich leb mehr oder weniger auf der Straße.“
„Was?“
Philip zieht ein genervtes Gesicht. „Hab ich doch schon mal gesagt, Mann. Ich penne meist bei Kumpeln. Wenn’s Stress gibt, zieh ich weiter. Meine Sachen passen in eine kleine Reisetasche, und einen festen Job hab ich auch nicht. Außerdem hab ich keinen Bock auf Sozialamt. Ich war schon überall in Deutschland: Berlin, Hamburg, Wuppertal, Bremen, Aachen, Amsterdam …“
„Amsterdam ist in Holland.“
„Na und wenn schon, du Arsch!“
„Und was ist, wenn du mal krank wirst?“
„Dann leg ich mich schlafen.“ Philip sieht, dass Jakob einen weiteren Einwand hat, und kommt ihm zuvor. „Ja, schon gut! Meistens geht’s am nächsten Tag auch schon wieder. Außerdem hab ich dir doch erzählt, für Notfälle hab ich immer noch diesen Arzt an der Hand. Jedenfalls kann ich tun und lassen, was ich will. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig.“
„Und wenn’s dir mal richtig dreckig geht? Ich meine, das mit dem Überfall eben hätte auch ins Auge gehen können!“
„Geht dich das was an?“, sagt Philip mürrisch. Offensichtlich will er nicht darüber sprechen.
„Nein“, sagt Jakob schmallippig. „Das tut es nicht.“ Etwas fester als notwendig reibt er die Salbe auf den Bluterguss und hört, wie Philip zischend einatmet. Zum Schluss füllt er einen Waschlappen mit Eisbeuteln und drückt ihn Philip in die Hand. „Halt das gegen das Auge, dann geht die Schwellung ein wenig zurück. Und gib mir dein T-Shirt, ich stecke es in die Waschmaschine, dann kannst du es morgen wieder anziehen.“
Philip streift das Shirt über den Kopf, wirft es auf den Boden und grinst ihn mit nacktem Oberkörper schief an. „Ich würd dir ja als Entschädigung einen blasen, aber mit der Lippe … ich könnte dich ficken.“
„Nein, danke. Ich hab keine Lust auf Sex heute.“
„Schon wieder nicht? Wie kann man so oft wie du keine Lust auf Sex haben?“, fragt Philip. „Ich kann immer.“ Als Beweis holt er seinen steifen Schwanz aus der Unterhose.
„Das ist der Vorteil, wenn man ein wenig älter ist.“ Jakob ringt sich ein kleines Lächeln ab. „Und jetzt pack wieder ein.“
„Stimmt ja, ich hätt’s beinahe vergessen. Du hast jetzt andere Prioritäten.“ Philip beugt sich nach unten und krault Clinton, der ihm um die Beine streicht, den Nacken.
Jakob ignoriert den süffisanten Unterton in seiner Stimme. „Hast du Hunger?“
„Klar. Ich hab immer Hunger. Ich war zwar bei KFC, aber das war heute Mittag.“
„Was ist denn KFC?“
„Der Fast-Food-Laden mit den Hähnchen am Rudolfplatz. Mann, wo
Weitere Kostenlose Bücher