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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Wohnzimmer CDs und Schallplatten stapelt und einsortiert, Unterlagen zurechtrückt.
    Im Arbeitszimmer stolpert Philips Blick über die handschriftlichen DIN-A4-Bögen, die auf Jakobs Schreibtisch liegen. Die Versuchung ist zu groß, er kann die Blätter nicht liegenlassen. Die Zeilen lesen sich wie Tagebucheinträge, wie ein Bericht aus einer verschollenen Zeit, voller Trauer und Sehnsucht. Philip hält inne und starrt an die Wand. Wie es wohl ist, jemanden so zu lieben? Etwas wie Neugierde regt sich in ihm.
    Doch es gibt noch so viel zu tun: Der Parkettboden zum Beispiel muss gesaugt werden. Philip ist nun wirklich kein Fachmann, wenn es um Sauberkeit geht, aber Jakob hat seit Wochen nichts getan in der Wohnung. Geistesabwesend schüttelt Philip die Gedanken über Jakobs Vergangenheit ab und macht sich wieder an die Arbeit. Je länger er putzt, desto mehr Gefallen findet er daran. Es hat etwas überraschend Befriedigendes, sofort mit dem Ergebnis seiner Arbeit konfrontiert zu werden. Natürlich ist es auch viel anstrengender, als er gedacht hat. Schon nach kurzer Zeit ist er völlig verschwitzt, und er gönnt sich nach jedem sauberen Zimmer eine Zigarettenpause als Belohnung. Er sucht Jakobs Dreckwäsche zusammen und setzt sich stirnrunzelnd mit der Waschmaschine auseinander. Wozu ist ein Vorwaschgang gut, und was bedeutet Feinwäsche? Spielt es eine Rolle, welche Umdrehungszahl er wählt? Im Badezimmer entfernt er mühevoll die Schmutz- und Kalkränder aus dem Waschbecken und der Badewanne, reinigt mit gerümpfter Nase das WC und wischt den Boden. Sogar das Katzenklo säubert er, auch wenn ihm dabei fast übel wird. Da Jakobs Kühlschrank nur noch Katzenfutter, altes Poppers und ein paar vergammelte Tomaten enthält, sucht er zum Schluss nach Jakobs Schlüssel und Geldbörse und kauft im Supermarkt ein paar grundlegende Nahrungsmittel ein: Eier, Milch, Brot, Wurst und Käse, Bananen, Joghurt, Mineralwasser. Dann finden auch noch Schokolade, Zigaretten und ein paar süße Energydrinks den Weg in seinen Einkaufswagen, außerdem Chips, Erdnüsse und die neue Ausgabe der FC-Fanzeitung. Zum Schluss bestellt er telefonisch Essen, und als er nach drei Stunden Jakob weckt, kriecht der verlockende Duft von Bami Goreng durch die Wohnung.
    „Komm schon, Alter“, sagt er. „Essen ist fertig.“ Philip grinst über beide Backen, als sich Jakob aus dem Bett quält und mit zunehmender Verwunderung durch die Wohnung geht.
    „Wer …? Hast du etwa …?“
    „Yep. Ich. Krass, oder?“
    „Aber …“ Jakob weiß nicht, was er sagen soll. „Warum?“, fragt er schließlich. Es passt so gar nicht in das Bild, das er von Philip hat.
    Der Junge zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung“, antwortet er verlegen. „Ich hatte da Bock drauf.“ Dann fügt er hinzu: „Aber glaub bloß nicht, dass ich das jeden Tag mache. Das ist voll anstrengend.“
    Jakob überhört geflissentlich die Implikationen dieser Aussage. Nur weil Philip einen Anfall von Häuslichkeit hatte, heißt das noch lange nicht, dass er seine Sprunghaftigkeit abgelegt hat. Und er weiß auch gar nicht, ob er Philip ständig um sich haben möchte.
    Immerhin, als er den Teller mit asiatischem Essen sieht, beginnt sein Magen zu knurren, und die beiden Männer essen schweigend. Jakob schaut aus dem Fenster; es wird langsam Abend. Um die Straßenlaterne vor dem Haus tanzen Insekten, die Luft steht still.
    „Was ist mit deinem Kerl?“, fragt Philip und rülpst zufrieden, als er den letzten Krümel verzehrt hat. Eine wohlige Schwere lässt sich auf ihm nieder.
    „Welchem Kerl? Arne?“
    „Der, der dich sitzengelassen hat. Hat er sich gemeldet? Hast du mal angerufen?“
    Jakob schüttelt den Kopf. „Das ist vorbei. Der kommt nicht wieder.“
    „Na ja, irgendwann wird er mal auftauchen müssen, oder? Seine ganzen Klamotten sind noch hier.“
    Jakob reagiert nicht. Allein die Vorstellung, sich mit Arne auseinanderzusetzen, übersteigt seine Kräfte. Er hat die Gedanken an ihn beiseite gedrängt, weggeschoben. Im Moment ist nur Platz für Marius in seinem Kopf. Vielleicht war es schon immer so. Seit Silky Legs’ Auftrag surren die Erinnerungen an Marius wie ein wütender Bienenschwarm in seinem Schädel herum, als hätte er sie mit einem Stock aufgescheucht. Er weiß, dass seine Therapeutin genau dies erreichen wollte, ihn gezwungen hat, sich mit Marius zu beschäftigen, und er ärgert sich, sehenden Auges in ihre Falle getappt zu sein. Weil er jetzt nicht mehr

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