Wie Jakob die Zeit verlor
aber … glaubst du, ich merke nicht, wie du mich ansiehst, wenn ich aufstehe und deine Wohnung verlasse?“, fragte er. „Und bei Marius ist es dasselbe.“
„Ich will dich eben nicht verlieren“, brachte Marius heraus. „Ist das so schwer zu verstehen?“
„Nein, natürlich nicht, aber …“ Jakob brach frustriert ab. Wie sollte er ihnen klarmachen, dass er so nicht weitermachen konnte? Dass er einen von beiden verletzen musste, einem von beiden den Boden unter den Füßen wegreißen musste, um selbst wieder Halt zu finden? Dass er einen Platz brauchte, wo er sich zu Hause fühlte? Einen, nicht zwei.
Alle drei schwiegen und beobachteten den Kater, der seine Jagd auf dem Balkon beendet hatte und ins Wohnzimmer stolzierte. Neugierig beschnüffelte er Stefans Lederhose, dann sprang er Marius auf den Schoß. Als wollte er ihn mit seinem Körper beschützen, als wollte er Böses von ihm abwehren.
„Du musst dich nicht entscheiden“, sagte Stefan eindringlich.
„Ja“, stimmte Marius zu. „Du musst dich nicht entscheiden.“ Sie tauschten einen Blick aus, als hätten sie sich vorher verständigt.
„So ein Schwachsinn!“, fuhr Jakob sie an. War für einen Moment verunsichert. Tat er wirklich das Richtige? Gab es tatsächlich keine andere Lösung? Dann gab er sich einen Ruck, schob die Zweifel beiseite. „Natürlich muss ich das, ich … Es geht nicht anders.“ Er vergrub das Gesicht in den Händen und schloss die Augen. „Marius, ich liebe dich, aber …“
„Jakob …“
Er hatte Marius noch nie betteln hören. Doch jetzt, da er begonnen hatte, gab es keinen Weg mehr zurück. „… aber Stefan liebe ich mehr.“
Es war schlimmer, als er befürchtet hatte. Marius beugte sich nach vorne, als hätte Jakob ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt, der Kater flüchtete verstört von seinen Beinen, und Marius hielt sich die Faust vor den Mund, um sein Schluchzen zu unterdrücken. Dann sprang er auf und rannte ins Badezimmer. Jakobs erster Reflex war, hinterherzulaufen, aber wie gelähmt blieb er sitzen. Schuldbewusst. Elend.
Stefans Augen blitzten ihn anklagend an. „Du bist so ein Arschloch“, sagte er. „Es hätte dich nur ein kleines bisschen Mut gekostet, ein kleines bisschen Fantasie.“ Und dann war er es, der den Weg ins Badezimmer fand und Marius zusammengerollt zu einem Ball auf dem Boden entdeckte, ihn aufhob wie ein kleines Kind, in die Arme schloss und tröstete.
Später, viel später am selben Abend, als Marius sich ein wenig gefangen hatte und Stefan gegangen war („Nein, Jakob, ich nehme dich heute Nacht nicht mit zu mir. Du hast das hier angerichtet. Du musst das jetzt aushalten.“), klopfte es an seiner Zimmertür.
„Darf ich reinkommen?“, fragte Marius.
„Natürlich.“ Selbst durch die geschlossene Tür konnte Jakob hören, wie sehr er sich bemühte, nicht erneut in Tränen auszubrechen, und er biss sich schuldbewusst auf die Lippe.
„Ich … ich wollte dir nur sagen … ich kann nicht verstehen, dass du mich verlassen willst.“ Marius wischte fahrig mit den Händen über seinen Oberschenkel. „Aber ich kann verstehen, was du für Stefan empfindest.“
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Jakob kommt gerade von der Arbeit, als er Philip kaugummikauend an seine Haustür gelehnt vorfindet, die Hände in den Taschen seiner Jogginghose vergraben. In der untergehenden Sonne leuchten seine Haare unter der Mütze, als würden sie brennen.
„Du schon wieder“, brummt Jakob und schließt die Tür auf. Irgendwie ist er nicht sonderlich überrascht, Philip zu sehen. „Bist du wieder verkloppt worden?“
„Nein. Ich …“ Jakob zieht die Augenbrauen hoch, als Philip die Strickmütze vom Kopf streift und betreten an ihm vorbeiblickt. „Ich … ähm … wollte mich entschuldigen. Für neulich. Das war irgendwie scheiße von mir.“
„Irgendwie?“ Für einen Augenblick meint Jakob, eine Veränderung an Philip zu erkennen. Da sind Fältchen in seinem Gesicht und dunkle Schatten um seine Augen, die er dort bisher nicht bemerkt hat. Als ob ihm etwas zugestoßen wäre, er etwas erlebt hätte, durch das sein sorgloser Blick auf das Leben getrübt worden ist. Doch wahrscheinlich ist sein Eindruck nur ein Effekt der Lichtverhältnisse, eine Nachwirkung der goldgeflammten, sonnendurchfluteten Haare, der seine normale Erscheinung jetzt besonders ernst aussehen lässt.
„Na ja, so ’ne krasse Show abzuziehen. In der Gärtnerei. Vor deinen Mitarbeitern. Tut mir leid, Alter …
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