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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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spürte; zum Beispiel die Verschlossenheit dieses Mannes, die er zu gerne ergründen wollte.
    „Bitte“, sagte er, „ich will den Rest unseres Lebens mit dir teilen. Ich bin so verliebt.“
    „Der Rest meines Lebens könnte ziemlich kurz sein“, wandte Jakob ein.
    „Das haben wir doch schon ein paar Mal besprochen. Du hast doch selbst gesagt, dass deine Werte seit Jahren stabil unter der Nachweisgrenze sind. Komm endlich im neuen Jahrtausend an. Wo ist das Problem?“
    Jakob schwieg, angelte nach seinem Rotweinglas und schwenkte den Inhalt bedächtig in seiner Hand. „Du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt“, sagte er schließlich. „Du hast es mit einem Kriegsveteranen zu tun. Und niemand kehrt ohne seelische Verletzungen aus einem Krieg zurück.“
    „Das ist mir egal. Für mich ist nur wichtig, ob du auch etwas für mich empfindest. Alles andere wird sich finden.“
    Jakob lachte leise auf und strich ihm durch die Haare. „Du bist naiv, Arne. Das ist irgendwie süß, aber auch ziemlich erschreckend.“
    „Ich glaube einfach daran, dass man mit Liebe alles schaffen kann.“
    „Und ein Träumer bist du obendrein.“
    Arne setzte sich auf und sah Jakob an. „Also schön. Es ist das letzte Mal, dass ich dich das fragen werde, und ich will endlich eine klare Antwort. Keine Ausflüchte mehr, kein ‚Vielleicht‘, kein ‚Mal abwarten‘. Willst du es mit mir versuchen, ja oder nein? Wir sind beide über vierzig, wir haben die wilden Jahre hinter uns, und zumindest ich weiß genau, was ich will. Nämlich dich.“
    „Du setzt mir die Pistole auf die Brust?“
    „Ja“, schmunzelte Arne. Er konnte Protest in Jakobs Augen aufflackern sehen und erneut dieses Zögern, das ihn in den Wahnsinn trieb. Und noch etwas anderes, darunter verborgen, kaum wahrnehmbar, aber trotz allem da: Furcht vor dem Alleinsein, vor einem Zurückbleiben, und er begriff plötzlich, dass Jakob ihn als letzte Chance verstand, so etwas wie Glück zu erleben. Es war nicht viel, um darauf eine Beziehung aufzubauen. Deshalb sein Zögern.
    Aber für Arne war es ein Fundament, und er schwor sich, alles daranzusetzen, dieses Fundament, diesen Grundstein zu verstärken. Die Zeit würde für ihn arbeiten. Dachte er.
    Oktober 1988
    Michail Gorbatschow wird zum Staatspräsidenten der UdSSR gewählt und festigt damit endgültig seine Macht im Staat. Bisher war er nur Generalsekretär der KPdSU.
    In der Tschechoslowakei, den baltischen Staaten und der DDR kommt es zu regierungskritischen Demonstrationen. Papst Johannes Paul II. fordert die westeuropäischen Staaten auf, den Demokratisierungsprozess im Ostblock aktiver zu unterstützen.
    Bei einer Volkabstimmung in Chile wird Augusto Pinochet eine weitere Amtszeit als Staatspräsident verweigert. Damit beginnt auch in dem südamerikanischen Land nach 15 Jahren Militärdiktatur ein demokratischer Wandel.
    Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß stirbt im Alter von 73 Jahren. Zu seinem Nachfolger im Amt wird Max Streibl gewählt.
    ACT UP und andere Aids-Aktivisten-Gruppen belagern die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA). Sie führen ein „Die-in“ durch und legen den Betrieb lahm, da die Genehmigung neuer Medikamente durch die FDA länger dauert, als viele Menschen mit Aids Aussicht haben zu überleben. Acht Tage nach dieser Demonstration verkündet die Behörde neue Bestimmungen, die die Genehmigung von Erfolg versprechenden Medikamenten beschleunigen sollen.
    Erneut übernimmt die „Lindenstraße“ eine Vorreiterrolle im deutschen Fernsehen. Im Herbst wird die Erkrankung und der Aids-Tod eines Charakters erzählt.
    In Großbritannien und Deutschland belegt Whitney Houston mit „One Moment in Time“ die Spitzenposition der Charts. Es ist das „Erkennungslied“ der gerade beendeten Olympischen Sommerspiele in Seoul.
    Die letzten fünfzehn Stunden hatte Jakob mit Stefan im Bett verbracht. Sie hatten geredet, gefickt, ferngesehen, geschlafen, gekuschelt und wieder Sex gemacht. Er begriff nie, wo die Zeit blieb; sie schien sich neuerdings in Luft aufzulösen und an ihm vorbeizuwehen wie ein lauer, kaum merklicher Sommerwind. Selbst gegessen hatten sie am Vorabend im Bett, Nudeln vom Italiener, was zu noch mehr Sex und dem Wechseln der Bettwäsche geführt hatte.
    Aber nun hatte ihn ein klarer, greller Herbstmorgen schon früh geweckt, und sein unruhiger Körper sehnte sich nach Bewegung, nach kühler Luft auf der Stirn und in den Haaren. Wollte mehr spüren

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