Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Vorschein.
Selbst im Brief hat er meinen neuen Namen benutzt. Er respektiert, dass man seinen Namen selbst wählt.
Der Brief ist kurz.
Er will, dass ich ihn besuche. Es sei sehr wichtig. Die Adresse ist deutlicher geschrieben als der Brief, als hätte er jeden Buchstaben mehrfach mit dem Kuli nachgezogen.
Der Brief ist unterschrieben mit Dein Vater .
Ich lasse ihn in den Schoß sinken und starre auf die Segelschiffe, die aus dem Kanal kommen und aufs offene Meer hinauswollen. Touristen auf Kanalrundfahrt fahren vorüber und winken mir zu.
Ich stehe auf, gehe zu einem Müllcontainer und werfe die Bilder hinein.
In der Nähe von Petras Wohnung gehe ich in eine Bank und hebe Geld ab.
Petra küsst mich und fragt, ob etwas nicht stimme. Ich schüttle den Kopf, versuche zu lächeln. Sie kocht, heute gibt es polnisches Essen. Sie serviert Kartoffeln, billiges Bier, Wodka und große Würste, aus denen Fett quillt. Ich trinke mehr, als ich esse.
Dann ziehe ich das Geld aus der Tasche und sage, meine Bilder seien verkauft, und sie solle das Geld haben.
Sie zählt die Scheine.
»Ich hätte gedacht, dass man mehr für solche Bilder bekommt, wenn sie in einer echten Galerie hängen.«
»Reicht das nicht für den Rest der Tierarztrechnung?«
Sie nickt. In den letzten Monaten hat sie die Behandlung in der Tierklinik in Raten abgestottert.
Ich stecke ein Stück Wurst in den Mund, kaue und zwinge mich, es hinunterzuschlucken.
»Ist echt prima, dass du die Bilder verkauft hast«, sagt sie und füllt mein Glas mit Bier.
W ährend ich im Zug sitze, wird es Herbst. Ich verlasse die Stadt, und die Blätter verlieren ihre Farbe.
An der Bushaltestelle reißt der Wind an meinen Kleidern.
Ich bitte den Fahrer, mir zu sagen, wann ich aussteigen müsse. Als ich die Adresse nenne, mustert er mich von oben bis unten.
Ich gehe einen Schotterweg zwischen zwei Rasenflächen hinauf. Das Gebäude ist einstöckig, ich sehe nur die Vorderseite und kann schwer einschätzen, wie groß es ist.
Der Weg führt zu zwei Glastüren, die sich bei näherem Hinsehen als unzerbrechliches Plexiglas entpuppen.
»Bitte klingeln«, steht auf einem kleinen Pappschild, das an der Innenseite festgeklebt ist. Ich drücke auf den Knopf und glaube, eine Bewegung zu erkennen. Dann summt das Schloss.
Ich gehe zu der Frau an der Rezeption und nenne den Namen meines Vaters. Sie schaut auf, ich sage, dass ich meinen Vater besuchen möchte. Ihre Hände sind auf der Tastatur erstarrt. Ich sage meinen echten Namen, den ich seit vielen Jahren nicht benutzt habe. Sie sieht mich an.
»Ich muss Sie um einen Ausweis bitten«, sagt sie schließlich.
Ich suche in der Tasche und gebe ihr meine alte Versicherungskarte, die ich benutzte, als ich noch bei meiner Mutter wohnte.
»Die Besuchszeit ist bald vorbei, aber ich glaube, wir können sie ein bisschen strecken.«
Sie schlägt ein Gästebuch auf und zeigt mir, wo ich mich einschreiben soll. Dann betätigt sie die Sprechanlage und bittet einen Pfleger, mich abzuholen.
Sie gibt mir einen Besucherausweis.
»Nehmen Sie den nicht ab, sonst behalten wir Sie.« Sie lächelt müde, den Witz hat sie sicher schon hundertmal gemacht. Dann wird ihr Gesichtsausdruck ernst.
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Das ist lange her.«
»Die Menschen, die hier eingeliefert werden, sind sehr krank.«
Ich warte auf dem Sofa und blättere in einer alten Zeitung. Ein Pfleger reißt die Tür auf, er ist Mitte vierzig und wiegt fünfzehn Kilo zu viel. Als Erstes sagt er, dass die Besuchszeit vorüber sei. Er will noch mehr meckern, aber als er erfährt, wen ich besuchen möchte, hält er ein und nickt, ich soll ihm folgen.
Der Pfleger hat einen kahlen Fleck am Hinterkopf, ein drittes Auge, das mich ansieht, während wir durch die langen, weißen Gänge gehen. Er hält die Türen nur so weit auf, dass ich gerade durchschlüpfen kann, dann schließt er sie wieder ab und eilt weiter. Seine Gummischuhe quietschen auf dem Linoleumboden. Ich glaube, er hasst mich.
»Sie sind der Sohn?«, fragt er, und es klingt wie ein Vorwurf.
»Ja.«
»Ich habe Sie noch nie gesehen.«
»Ich bin nie hier gewesen.«
Wir durchschreiten mehrere Schleusen, in denen die erste Tür geschlossen sein muss, damit die zweite aufgeht. Wenn die Wände nicht so weiß wären und keine bunten Plakate dort hingen, könnte man denken, man sei in einem Gefängnis.
Wir gehen an anderen Pflegern vorbei, sie nicken uns zu.
»Keiner von denen ist so lange
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