Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
steckt es in den Mund.
»Sonst gibt es eigentlich keinen Grund, nach Kreuzberg zu kommen. Schau dich nur um, lauter kleine Jungs mit reichen Eltern, die glauben, sie wären Künstler. In Kreuzberg bist du entweder Türke oder Künstler. Nicht, dass ich was gegen Türken hätte – es sind die Künstler, die mich stören.« Er schiebt den Pappteller von sich. »Lass uns ein paar Bier trinken. Ich schulde dir noch etliche von neulich.«
Wir fahren zurück nach Neukölln, Ulrich stellt das Auto ab. Wir gehen über die Straße. Zuerst glaube ich, die Bar sei geschlossen, sie ist dunkel, und ich sehe kein Schild, aber Ulrich öffnet die Tür. Drinnen ist es verqualmt. Ältere Männer drehen den Kopf und schauen uns an. Ulrich geht zur Theke und macht dieselbe Handbewegung wie beim Bäcker. Nach einer kurzen Diskussion mit dem Besitzer kommt er mit zwei großen Bier an unseren Tisch.
Der Aschenbecher wird voll, wird geleert und wieder gefüllt. Ich weiß nicht, wie viele Bier wir trinken. Ulrich erzählt von seiner Tochter. Wie klein sie sei und dass er Angst habe, alles zu verpfuschen. Wenn sie bei ihrer Mutter ist, wisse er, dass es ihr gut geht. Dann könne ihr nichts passieren. Ihre Mutter kümmere sich schon um sie. Wenn sie hinfällt, habe ihre Mutter immer ein Pflaster oder die Nummer des Notdienstes parat.
Ulrich bestellt mehr Bier. Bei jeder Bestellung diskutiert er mit dem Besitzer, aber wir werden weiter bedient.
»Wir könnten noch mal im Hotel nachfragen«, sagt Ulrich, als wir auf der Straße stehen. »Aber ich wohne ja gleich da drüben.«
Ich schlafe auf dem Sofa in Ulrichs kleiner Wohnung, in der alle Möbel aus den Fünfzigern stammen und aussehen wie vom Sperrmüll.
Essensgeruch steigt von draußen in die Wohnung, und ein Streit in einer fremden Sprache schallt durchs Treppenhaus.
Ich starre an die Decke. Ein Wasserschaden hat einen Fleck hinterlassen, der wie eine Seerose von unten aussieht.
M ona steht auf der anderen Straßenseite und wartet auf eine Verkehrslücke. Wir sehen sie durch die großen Scheiben des Cafés. Sie versucht es, muss aber rasch wieder zurückweichen, weil der nächste Schub Autos kommt.
»Sie hat es nicht leicht gehabt«, sagt Ulrich.
Wieder läuft Mona los, rutscht fast auf dem Eis aus, fängt sich aber wieder.
»Du musst nett zu ihr sein«, sagt Ulrich.
Mona kommt herein und schüttelt Schneeflocken aus den Haaren.
In der letzten Woche war ich mit ihr in vielen Museen und Galerien, während Ulrich Journalisten und den Sammlern, die er dazu überredet hatte, meine Bilder zeigte.
Gestern waren wir auf der Museumsinsel und sahen Werke von Rodin, Cézanne und Degas. Heute wollen wir eine neue Galerie besuchen, die erst vor wenigen Monaten eröffnet hat und in aller Munde ist.
Am Eingang bekommt jeder Besucher eine Taschenlampe.
»Ich hoffe, du hast keine Angst vor Dunkelheit«, sagt Mona.
Die Wände der Galerie sind geschwärzt, die Fenster mit Blenden versehen, das Licht ist ausgeschaltet. Die Taschenlampen sind so schwach, dass man sie dicht an die Bilder halten muss, um Details zu erkennen.
»Als sie eröffneten, gab es auch Installationen, aber zu viele Besucher haben sich verletzt«, sagt Mona irgendwo rechts von mir.
Meine Taschenlampe erleuchtet ein Objekt, das wie ein Fahrradreifen aussieht, aber ebenso eine Schlange sein könnte, die sich selbst in den Schwanz beißt.
»Hi Mona«, hören wir im Dunkeln. Hinter uns steht ein Wärter, ganz in Schwarz gekleidet. »Viel Vergnügen.«
Wir gehen nebeneinander die Straße entlang.
»Als du ankamst, war dein Deutsch noch ein bisschen steif«, sagt Mona. »Es klang richtig klassisch, wie wenn wir in der Schule Goethe oder Schiller laut vorlesen mussten. Jetzt redest du schon fast wie ein Berliner.«
Die Luft ist frostig, im Schnee unter uns liegt festgetrampelter Weihnachtsschmuck.
»Du bist sehr still geworden, als ich dich nach deiner Kindheit gefragt habe. Aber da hatte ich ja auch ein Mikrofon in der Hand …«
»Ich hatte eine wunderbare Kindheit, die ich gegen nichts tauschen wollte.«
Ich weiß nicht, wohin wir gehen, aber ich gehe gern neben ihr. Sie bietet mir eine Zigarette an, eine Club, früher die teuerste Marke in Ostdeutschland, wie sie erzählt, und heute die allerbilligste. Ich kann sie kaum anzünden, der Wind bläst die Flamme immer wieder aus. Als ich aufschaue, sehe ich direkt in ihre Augen.
»Ich kann es kaum glauben, dass du nicht älter bist«, sagt sie, als hätte sie mich
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