Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Holzrahmen. Ich stelle mich in die Mitte. Ich sehe ein Ohr, eine Nase, ein Schienbein, etwas Haar, die Schuhe in meiner Hand. Ein Junge, der mir ähnlich sieht, zerstückelt und an die Wände gehängt. Auch an der Decke befinden sich Spiegel, der Junge schaut auf mich herab, sehr klein und ziemlich ängstlich. Als ich das Zimmer verlasse, ist mir schwindlig. Auf der Treppe schwöre ich mir, nicht mehr so neugierig zu sein, ich will nichts mehr riskieren.
Früh am Morgen, ich liege unter der Decke und halte die Augen geschlossen. Ich höre, wie mein Vater sich anzieht, dann geht er durch den Korridor und die Treppe hinunter. Die Haustür geht auf und fällt wieder zu. Sofort springe ich aus dem Bett. Ich bin zum Dieb geworden, ein Dieb, der nichts stiehlt. Ich erforsche das Haus auf Strümpfen, jeden Tag ein neues Zimmer. In einem sind lauter ausgestopfte Tiere, Hunde und Katzen, Biber und Eichhörnchen. Sie starren jeden an, der das Zimmer betritt, und fletschen die Zähne. Sie starren mich an, bis ich wieder hinausgehe. In einem anderen Zimmer steht nur ein einziger ausgestopfter Bison mit dem Kopf zur Wand, als würde er sich schämen. Er ist viel größer als die Fenster und Türen, das Gebäude muss um ihn herumgebaut worden sein.
Vom Zimmer der alten Dame halte ich mich fern, aber das restliche Haus erforsche ich gründlich, vom Erdgeschoss bis zum Dachboden. Unter dem Dachbalken führt ein langer Gang zu einer roten Tür. Ich drücke die Klinke herunter, aber sie will nicht aufgehen. Ich rüttle daran, möchte sichergehen, dass sie nicht klemmt.
Nicht alle Zimmer sind so interessant wie das erste, aber es gibt immer etwas zu entdecken, zum Beispiel chinesisches Porzellan, das mit haarfeinen Pinselstrichen bemalt ist. Eine einzige Tasse erzählt von Drachen und Kaisern, von einer großen Schlacht, bei der Hunderte klitzekleine Pfeile durch die Luft fliegen. In einem anderen Zimmer ist eine ganze Wand voller aufgespießter Schmetterlinge – Hunderte, in ebenso vielen Farben.
Am Nachmittag sitze ich im Gras und zeichne das Zimmer, das ich am Morgen erforscht habe. Als ich acht Seiten in meinem Block bemalt habe, fällt mir auf, dass etwas nicht stimmt. Es ist viel rätselhafter als alles, was ich in den Zimmern gefunden habe.
Ich gehe um das Haus herum, zeichne es von allen Seiten. Zwei Etagen, mit breiten Brettern verkleidet. Ich zeichne jedes einzelne Fenster ein, versuche, ganz genau zu sein. Mehrmals muss ich radieren und von vorn beginnen. Erst als ich fertig bin, bestätigt sich mein Gefühl. Die Außenansicht stimmt nicht mit der Aufteilung der Zimmer überein.
Am nächsten Morgen mache ich mir Notizen, während ich von Zimmer zu Zimmer gehe. Ich klopfe gegen die Bretter. Wo eigentlich Türen sein müssten, sind nur Wände, an denen Bilder von Braunbären mit Fischen im Mund hängen.
Schließlich stehe ich wieder im Dachgeschoss vor der verschlossenen Tür. Dort drinnen muss des Rätsels Lösung liegen.
In der Nacht träume ich von der Tür. Sie geht von selbst auf, ein Lichtstrahl blendet mich. Ich trete über die Schwelle, dann wache ich auf.
Sobald mein Vater aufgestanden und in den Garten gegangen ist, begebe ich mich auf die Suche nach dem Schlüssel.
Heute ist mir die riesige Sammlung geschnitzter Tiermasken egal, auch die arabischen Krummsäbel und die Schrumpfköpfe kümmern mich nicht, ich will nur den Schlüssel finden. Die alte Dame ist so klein, wenn sie ihn bei sich hätte, würde man es sehen, er würde ihr Kleid ausbeulen wie ein hervorstehender Knochen.
I ch sitze im Gras und zeichne, als ich hinter mir etwas höre. Ein Geräusch wie von einer Klapper- oder einer Würgeschlange. Ich drehe mich um, und was ich sehe, jagt mir mehr Angst ein als ein aufgerissenes Maul mit Giftzähnen. Kein Schatten hat die alte Dame verborgen, auch kein gleißendes Gegenlicht, aber sie steht nur wenige Meter entfernt.
Irgendwo weit weg wirft mein Vater die Motorsäge an. Ich starre auf meinen Zeichenblock – wenn du im Wald einem Bären begegnest, rühre dich nicht. Auch Hunde können Angst riechen. Ich zeichne einen Hund, der ein Eis isst, er hält es zwischen den Vorderpfoten und schleckt die Sahne ab. Meine Hände zittern, aber ich zeichne weiter und hoffe, dass die alte Dame von selbst verschwinden wird.
»Ich habe gehört, wie du im Haus herumschleichst«, sagt sie zu meinem Rücken. »Glaubst du, ich könnte dich nicht hören, bloß weil ich alt bin?«
Das Loch in ihrem Gesicht ist ein
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