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Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Titel: Wie keiner sonst / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas T. Bengtsson
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müssen ins Theater. »Mach dir keine Sorgen«, sage ich. »Ich bin nur müde und will im Bett bleiben.« Nachdem er gegangen ist, bleibe ich liegen und starre die Decke an. Ich hasse Papier. Es liegt unter mir, so tief ich es nur unters Bett schieben konnte.
    Meine Hände bewegen sich unter der Decke, ich zeichne Striche an die Decke. Ich versuche, mich zu beherrschen.
    Am nächsten Tag sitze ich wieder im Theater mit dem Block auf dem Schoß. Es ist das letzte Mal, dass ich zeichne, das habe ich beschlossen. Heute ist es mir egal, ob es echt aussieht, niemand wird es je zu Gesicht bekommen. Ich drücke so fest, dass der Stift das Papier durchsticht. Die Mine bricht, und ich nehme den Spitzer. Ein älterer Herr dreht sich zu mir um, aber das kümmert mich nicht. Ich zeichne keine Schauspieler, heute zeichne ich nur ihre Bewegungen. Der Kopf kommt erst zum Schluss drauf, Augenbrauen, Mund und Augen sind mir ebenfalls egal. Der Tisch, die Stühle und die Teekanne, auch sie sind Bewegung, denn ich weiß, dass sie umfallen werden. Ich zeichne, ohne auf das Papier zu sehen, bis der erste Akt vorbei ist und mein Handgelenk wehtut. Während des zweiten Akts sitze ich nur da und höre den Schauspielern zu. Ich kann nicht mehr, ab jetzt ist für immer Schluss. Die Staffelei können wir als Wäscheständer benutzen.
    Ich sitze an der Bar und schlürfe Saft mit einem Strohhalm. Mein Vater fragt, ob er meine Zeichnung sehen dürfe. Ich gebe ihm den Block. Soll er es doch sehen, dann werden sie mich nie wieder fragen. Er legt den Block auf die Theke, tastet nach seinem Bierglas und leert es. Er schnipst Asche von der Zigarette, verfehlt aber den Aschenbecher. Dann winkt er dem Wirt und zeigt ihm den Block. Vielleicht soll ich wieder etwas lernen. Wie wenn man einen Welpen stubenrein macht, indem man dessen Schnauze in die eigene Pisse drückt. Der Wirt betrachtet die Zeichnung. Er ist auf beiden Unterarmen tätowiert, ein Schiff mit hohen Masten und eine nackte Frau. Der Tätowierer konnte zeichnen, im Gegensatz zu mir. Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche, nicht zu weinen.
    Der Wirt sieht mich an.
    »Darf ich das kaufen?«, fragt er. Ich nicke, klar darf er es kaufen. Er kann es auch geschenkt haben. Er darf es in Stücke reißen und wegwerfen.
    »Du musst noch deinen Namen drunterschreiben.« Ich schreibe »Peter« in die untere, rechte Ecke. Der Wirt öffnet die Kasse, nimmt einen Schein heraus und legt ihn vor mir auf die Theke. Dann reißt er die Zeichnung vorsichtig ab und steckt sie an den Spiegel hinter der Bar.
    An diesem Abend zeigt mein Vater allen die Zeichnung. »Das hat mein Sohngemacht«, sagt er. Die Leute bleiben stehen, gucken und lächeln. Aber keiner lacht mich aus.
    Als wir heimgehen, habe ich den Schein in der Hosentasche, ich betaste das dünne, steife Papier, so fühlen sich nur Geldscheine an. Diesen werde ich niemals ausgeben.

E in paar Stunden vor der Vorstellung sind mein Vater und ich allein im Theatersaal. Mein Vater trägt eine lange Holzstange mit einem Metallhaken am Ende, mit der er die Scheinwerfer ausrichtet. Er schiebt sie nach rechts und links. Dann tritt er ein paar Schritte zurück, guckt und justiert noch einmal nach, bis er zufrieden ist. Einige nimmt er ab, um die Glühlampe zu wechseln oder andere Filter davorzuspannen. Die Filter bestehen aus dünnen Plastikscheiben, es gibt rote, grüne, gelbe und blaue. Bei Kims langem Monolog im ersten Akt hat mein Vater mir gezeigt, wie sie funktionieren. Während der Landarzt klagte, das Leben habe immer an einem anderen Ort stattgefunden, durfte ich die gelben und roten Lichter ausschalten. Kim wurde ganz bleich, er sah aus, als hätte er etwas Verdorbenes gegessen oder eine schlimme Neuigkeit erfahren. Aber er redete unbeirrt weiter. »Sollen wir ihn ein bisschen grün machen?«, fragte mein Vater. Er legte meine Hand auf einen anderen Regler, und ich durfte langsam aufdrehen. Kim sah aus, als würde er gleich umfallen und die Bühne nicht mehr lebendig verlassen.
    Mein Vater streckt die Stange aus und stellt sich auf Zehenspitzen. »Das Mistding will nicht …«
    Ich sitze am Bühnenrand, muss mich beherrschen, nicht zu pfeifen. Das ist eine Regel. Man darf auch keine Jacken oder Mäntel tragen, wenn man die Bühne betritt. Beides bringt Unglück.
    Ich halte einen Filter vor die Augen. Die ganze Welt wird blau. Wir sind mitten in einem Schneesturm.
    In diesem Moment fliegt die Tür auf, und der Theaterdirektor stürmt zwischen den

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