Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Sitzreihen hindurch. Die Eisbären sind ihm dicht auf den Fersen. Außer Atem fragt er, ob mein Vater schon von dem Kritiker gehört habe. Mein Vater schüttelt den Kopf und arbeitet weiter. Der Theaterdirektor sagt, es sei vielleicht nur ein Gerücht, aber er habe gehört, dass Erik Schmidt heute Abend zur Vorstellung kommen wolle. Er wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
Ich halte den roten Filter vor die Augen. Er passt besser, die ganze Welt wird rot. Natürlich schwitzt der Direktor, denn wir sind von Flammen umgeben. Er sagt, wie wichtig es sei, dass alles in Ordnung ist, und hüpft auf der Stelle, damit seine Schuhe kein Feuer fangen. Er tut mir so leid, dass ich zu dem grünen Filter greife.
Jetzt sind wir in einem warmen, feuchten Wald. In den Baumkronen sitzen große Vögel mit langen, krummen Schnäbeln. Sie zwitschern laut, aber der Theaterdirektor übertönt sie.
»Heute Abend muss alles perfekt sein, hast du gehört?«, sagt er und wischt mehr Schweiß von der Stirn. Er lacht nervös und geht wieder zurück. Seine Füße versinken im Unterholz, er erreicht gerade noch die Tür, bevor die Raubtiere ihn fressen.
Mein Vater schaltet das Lichtpult Knopf für Knopf ein, bis der ganze Apparat summt. Falls er nervös ist, kann ich es ihm nicht ansehen. Er macht alles wie üblich, legt die Texte zurecht und blättert sie durch, um sicherzugehen, dass sie in der richtigen Reihenfolge vor ihm liegen. Das Zigarettenpäckchen und das Feuerzeug haben ihren festen Platz neben dem Aschenbecher.
Auch meine Comics liegen neben mir auf dem Boden bereit. Ich teste die Taschenlampe.
Mein Vater schaltet jeden Scheinwerfer einzeln ein, um zu prüfen, ob beim Ausrichten auch keine Lampe kaputtgegangen ist.
Sara kommt zur Tür hinein. »Gratuliere zur letzten Vorstellung«, sagt sie und küsst meinen Vater in den Nacken.
»Ist es wirklich so schlimm?«
»Entweder Erik Schmidt liebt eine Aufführung, oder er hasst sie. Die hier wird er kaum leiden können.«
Sara zieht eine Zigarette aus dem Päckchen auf dem Tisch.
»Wenn wir nur eine Rezension bekämen, haben alle gejammert, dann wäre der Saal voll …«
Mein Vater nimmt ihre Hände in seine, eigentlich hat er immer eine Antwort parat, aber diesmal schweigt er.
»Vielleicht geht ja einer mit ihm ins Bett«, sagt Sara und lacht ein wenig zu laut. »Der Direktor, Kim, oder irgendeiner von uns. Sonst haben wir keine Chance. Hoffentlich bleibt er …« Sie sieht mich an, und ich bin plötzlich sehr beschäftigt mit meinen Comicheften.
In der Tür dreht sich Sara noch einmal um, formt eine Art Trichter mit den Händen und flüstert laut: »Er muss gefickt werden! Gefickt! Gefickt! Gefickt!« Ihre Absätze klackern über den schmalen Gang.
Mein Vater überprüft den Kassettenrekorder, das Band muss genau an der richtigen Stelle stehen. Da erscheint Kim in der Tür. Er trägt eine graue Wollweste über einem ausgebeulten Hemd.
»Hier kommt der Landarzt«, sagt er und kichert. »Wo ist der Patient?« Seine Arzttasche klirrt, als er sich auf den Stuhl neben meinem Vater fallen lässt.
»Unten in der Garderobe halte ich es nicht mehr aus. Sie laufen Amok. Margrethe heult, und Mikael läuft im Kreis. Wenn man ihn anfasst, schlägt er um sich, fürchte ich.«
Kim zieht zwei Flaschen Bier aus der Arzttasche, stellt eine vor meinen Vater und nimmt sich auch eine Zigarette aus dem Päckchen auf dem Tisch. Sie stoßen an.
»Er wird uns fertigmachen«, sagt Kim und trinkt einen großen Schluck. »Total zerreißen wird er uns.« Dann lacht er. »Aber wenn man weiß, dass es nur schiefgehen kann, braucht man auch keine Angst mehr zu haben.« Kim leert die erste Flasche und öffnet eine neue. Als er auch die ausgetrunken hat, schnappt er die Tasche, in der es noch immer klirrt.
Während der Vorstellung bleibe ich im Beleuchtungsraum. Heute scheint es mir nicht angebracht, im Saal zu sitzen. Einmal haben wir einen Verkehrsunfall gesehen, und mein Vater hat gesagt, dass man nicht stehen bleiben und gaffen solle. Wenn man nicht helfen könne, solle man einfach weitergehen. Eigentlich würde ich den Kritiker gern sehen, ich will wissen, wie ein Mann aussieht, der ein ganzes Theater ins Schwitzen und erwachsene Menschen zum Heulen bringt.
Stattdessen lese ich das Comic über den Mann, der sich unsichtbar machen kann. Er kämpft mit einer gigantischen Spinne, die Autos und Straßenschilder nach ihm wirft. Aus dem Saal höre ich die Schauspieler. Heute sprechen
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