Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Heimweg hören wir sie noch lange rufen und lachen.
A lle Schauspieler und Bühnenarbeiter sind im Foyer versammelt. Wir sehen sie schon durch die Fenster, als wir ankommen. Wir sind spät dran, mein Vater hat neue Filter für die Scheinwerfer und neue Glühbirnen gekauft.
Die Schauspieler sehen krank aus, mein Vater meint, sie hätten wohl die ganze Nacht getrunken. Sogar Margrethe kann es nur schwer unter vielen Schichten Schminke verbergen. Alle warten auf den Direktor, wie wir erfahren.
Kim beugt sich zu meinem Vater: »Wenn wir den Laden dichtmachen müssen, ist das wohl der beste Zeitpunkt.«
Draußen auf der Straße bleiben die Leute stehen und schauen neugierig zu uns herein.
Der Direktor eilt herbei.
»Ich möchte es gern selbst sagen, um Missverständnisse zu vermeiden.«
»Lauter!«, ruft jemand.
Der Direktor hustet in die Hand.
»Die Vorstellung muss heute Abend leider ausfallen. Es ist nichts Ernstes, aber wir haben einen Wasserschaden im Keller. In einer Garderobe ist eine Leitung gebrochen.«
»Glück im Unglück« und »Böser Blick« höre ich die Leute sagen.
»Die gute Nachricht ist, dass keines der Kostüme Schaden erlitten hat. In ein paar Tagen sollten wir wieder spielen können. Der Vorverkauf läuft fantastisch.«
Die Leute teilen sich in kleine Grüppchen auf.
Kim fragt: »Bin ich hier der Einzige, der Durst hat?«
Heute Abend wollen Sara und mein Vater zusammen essen gehen.
Sara geht vor mir in die Hocke und sagt, ich dürfe das Restaurant auswählen. Und dass ich mitkommen müsse, weil der Abend sonst nicht schön sei.
Ich antworte, dass ich lieber zu Hause bleiben und zeichnen möchte. Ich gehe mit ihnen bis zur Ecke, wo wir ein halbes Hähnchen mit Pommes für mich kaufen. Ich winke dem Taxi hinterher, als die zwei davonfahren.
I ch esse Haferbrei, während mein Vater noch im Wohnzimmer auf der Liege schläft. Mit jedem Bissen schlägt mein Löffel etwas lauter gegen die Schale. Mein Vater richtet sich auf, reibt sich die Augen und fragt mich, ob ich Lust hätte, etwas Interessantes zu sehen. Er nimmt mich mit ins Theater. Von der obersten Treppenstufe sehen wir Männer in Gummistiefeln, die bis zur Hüfte reichen. Sie waten durch das gräuliche Wasser und schreien einander an, um den Lärm des langen Rüssels zu übertönen. Der Elefant steht draußen und saugt, er ist sehr durstig.
Ich sitze in meinem Zimmer und zeichne, durch die Tür höre ich Sara und meinen Vater reden. Sara glaubt, dass Kim den Wasserschaden absichtlich verursacht habe. Mein Vater antwortet nicht, und sie versucht, ihn zu überzeugen. Sie erzählt, wie seltsam sich Kim neulich in der Kneipe benommen habe. Zuerst sei er froh gewesen, dann kurz vorm Weinen. Dann sei er für mehrere Stunden verschwunden, und plötzlich habe er wieder dagesessen, mit einem Whisky in der Hand. Es würde Sinn ergeben, sagt Sara. Er habe noch nie so viel Applaus bekommen, jedenfalls nicht in den letzten fünfzehn Jahren und ohne Affenkostüm oder einem lustigen Hut auf dem Kopf.
Mein Vater fragt, ob ich nicht mit ihnen ausgehen wolle. Wir könnten am Hafen spazieren gehen, die kleine Meerjungfrau mit Münzen bewerfen und Eis essen.
Wieder sage ich, ich würde lieber zeichnen.
Am nächsten Tag wacht mein Vater spät auf. Er summt ein Lied und räumt auf. »Musik«, sagt er, »wir brauchen Musik. Wir kaufen einen Plattenspieler, du bestimmst die Farbe. Oder wir malen ihn einfach an.« Mit den Fingern spielt er ein Trommelsolo auf dem Esstisch. »Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?«, fragt er.
Ich höre seine Schritte auf der Treppe, er nimmt drei Stufen auf einmal.
Ich krame einen Tennisball aus dem Koffer. Das Haus und der Hof, in dem wir wohnen, sind hübsch und sehr sauber. Kein Kaugummipapier, kein Müll in der Hecke. Keine Kreidestriche auf dem Pflaster, keine Kinderwagen. Nur Rollatoren und Warnschilder »Vorsicht, Stufe«.
Ich werfe den Ball gegen die Mauer und fange ihn. Ich sage: »Versuchs noch mal. Höher, du kannst es.« Das Fenster im zweiten Stock geht auf, und eine Dame mit weißem Haar und vielen Falten streckt den Kopf hinaus. Sie schaut sich suchend um und blinzelt ein paar Mal, bis sie mich entdeckt.
»Das darfst du nicht«, sagt sie. »Im Hof ist Ballspielen verboten. Kannst du nicht lesen?«
»Nein«, antworte ich. »Ich bin blind.« Sie sieht mich verwirrt an.
»Du darfst hier nicht Ball spielen.« Sie zieht den Kopf ein und lässt das Fenster auf. Sicher sitzt sie direkt
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