Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Lippen.
»Ich ging durch die Straßen, es war Winter. Mein Portemonnaie hatte ich in der Wohnung vergessen, aber ich wollte nicht zurück. Da dachte ich plötzlich an die Nachmittage, die ich als Kind auf dem Dach verbracht hatte. Mein Onkel war Hausmeister und hat mich immer mit hier hinaufgenommen. Wir tranken Kakao und spielten Schwarzer Peter. Auf dem Dachboden fand ich einen Schraubenzieher, und das Schloss war leicht aufzukriegen.«
Es wird dunkel, Karlsson zündet zwei Petroleumlampen an. Er brät Kartoffeln und Würstchen auf dem Gaskocher.
»Die ersten Wochen habe ich nur von altem Brot vom Bäcker gelebt, aber dann wurde mir schwindlig. Ich brauchte ein bisschen Fleisch.«
Karlsson verteilt das Essen.
»Mit den letzten Krümeln fing ich eine Taube. Wie im Zeichentrickfilm, die Taube folgt der Krümelspur bis unter einen Karton, und dann zieht man an der Schnur.«
Kasper beißt von der Wurst ab und stochert mit der Gabel in den Kartoffeln. Als wir fertig sind, kratzt Karlsson die Reste zusammen und stellt sie draußen kalt. Dann setzt er sich wieder auf den Bierkasten, schenkt mehr Kirschwein aus und dreht sich eine Zigarette.
»Ich habe sogar eine Möwe gegessen«, sagt er leise. »Ich war sehr hungrig. Zuerst wollte ich sie fortjagen, aber sie war hartnäckig, und schließlich stand sie unter der Kiste und pickte. Du willst nicht wirklich Möwe essen.«
Ich nicke, glaube ihm.
»Ich stand hier oben, knabberte die Knochen ab und überlegte, ob ich springen sollte. Aber ich wollte es nicht auf leeren Magen tun. Erst wollte ich einen ordentlichen Hotdog mit allem drauf, und am Imbiss ohne Bezahlen davonrennen. An der Würstchenbude traf ich dann Kasper.«
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen.« Kasper zündet sich noch einen Joint an.
»Er hat mir Geld geliehen. Ich brauche nicht viel, ich will bloß keine Möwen mehr essen.«
»Das war, bevor ich die Idee mit dem Acid hatte.«
»Ich verkaufe es«, sagt Karlsson. »Den alten Hippies ist es egal, wie ich aussehe. Und sie haben genug Geld, für gute Qualität zu bezahlen.«
»Die billigen Pillen aus Deutschland sind Schrott. Oft nur Kalk und Codein, manchmal auch Rattengift«, sagt Kasper.
»Wir verkaufen nur gutes Acid. Echtes LSD , wie damals bei den Mamas and Papas. Die hatten es immer gläserweise dabei.«
Als wir die dritte Flasche Kirschwein geleert haben, muss ich pinkeln. Ich halte es schon lange ein, weil Karlsson nicht aufhört zu reden.
»Da draußen steht ein Eimer«, sagt er.
»Piss nicht einfach vom Dach. Auch wenn die Versuchung groß ist, lass es bitte sein.«
W ir haben anderthalb Stunden Schicht hinter uns, als der Abteilungsleiter zu mir kommt.
Ich verteile zuerst die Briefe, die ich in den Händen halte, dann nehme ich den Kopfhörer ab.
»Der Chef will mit dir reden.«
»Jetzt?«
»Er wartet da oben. Scheint wichtig zu sein.«
Kasper grinst.
»Was hat der Türke denn jetzt schon wieder verbrochen?«
Der Abteilungsleiter lächelt gequält, er weiß nicht, ob er lachen darf.
»Immer diese Türken …« Kasper schüttelt den Kopf.
Ich gehe an Regalen vorbei, an denen dieselbe Handbewegung wieder und wieder ausgeführt wird. Ich gehe so langsam wie möglich. Der Chef arbeitet nur selten nachts, vielleicht steht etwas Wichtiges an. Vielleicht will er über Kaspers LSD -Schmuggel reden, aber dann hätten sie mich kaum in seiner Gegenwart vom Arbeitsplatz geholt.
Ich weiß, was er sagen wird, aber wie haben sie es bloß herausgefunden?
Zuerst hatte ich versucht, ohne Papiere zu arbeiten, aber mein Vater hatte mich nicht auf eine neue Zeit mit Strichcodes und Computern vorbereitet. Eine ganz neue Welt, in der Schwarzarbeit nur für Schwarze möglich ist, wie es ein Maurermeister ausdrückte. Es sei denn, du hast eine ordentliche Ausbildung, fügte er grinsend hinzu.
Ich ging regelmäßig in die kleinen Geschäfte in Nørrebro. Mein Zimmer füllte sich mit Kugelschreibern, Tüten mit Nüssen und verfaulenden Granatäpfeln. Ich hatte stapelweise Videos, die ich nicht abspielen konnte, und eine Pyramide aus Zigarettenpäckchen. Ich wollte fester Kunde sein, sie sollten mir vertrauen, bevor ich nach Papieren fragen würde. Die meisten versprachen, dass sie welche besorgen könnten, aber es endete immer damit, dass sie mir gestohlene Toaster und Videorekorder anboten.
Eines Nachts stand ich in einer Pizzeria. Ich war noch nie dort gewesen und wollte eigentlich nur essen. Da ich sowieso keine Hoffnung mehr hatte, fragte
Weitere Kostenlose Bücher