Wie Kinder heute lernen
an Sinnesreizen sowohl aus der Umwelt als auch aus dem eigenen Körper bombardiert. Wie aber erstellt das Gehirn mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen eine sinnvolle Prioritätenliste? Das ist für viele Lehrer und Eltern die entscheidende Frage.
Zunächst muss zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterschieden werden: Nimmt man die Nervenfasern aller Sinnesorgane zusammen, so kommt man auf eine Anzahl von etwa 2,5 Millionen. Jede dieser Fasern kann bis zu mehreren 100 Aktionspotenzialen (elektrische Impulse) je Sekunde abgeben. Damit ergibt sich ein Datentransfer in das Gehirn von 100 Megabyte pro Sekunde! Das Gehirn muss daher Filter einsetzen, um relevante und irrelevante, konstante und neue Stimuli voneinander zu trennen. Dafür hat unser Gehirn prinzipiell zwei Wege: Zum einen werden die Daten von den Sinnesorganen selbst bis hin zu den höheren Gehirnarealen immer weiter gefiltert. Zum anderen werden die Daten aber nicht nur von »unten nach oben« bearbeitet, sondern auch von »oben nach unten« vorstrukturiert und bewertet. So wird durch hierarchisch höher stehende Gehirnareale eine Auswahl getroffen, welche der eintreffenden Reize überhaupt weiterbearbeitet werden.
Entsprechend nehmen wir eine ganze Menge an Reizen gar nicht erst wahr, da unsere vorhandenen Sinne nur bestimmte Aspekte aus dem Spektrum des Wahrnehmbaren herausfiltern. Wir nehmen die Welt also nur teilweise wahr, und es sind lediglich Bruchstücke dieser Fragmente, die aufgrund unserer selektiven Wahrnehmung in das Rampenlicht unserer Aufmerksamkeit gelangen.
Dabei versucht das Gehirn immer vorherzusagen, was geschehen wird - es strukturiert die Welt vor. So z. B. bei der Sprache: Unser Sprachzentrum weiß häufig schon in der Mitte des Satzes, wie dieser vermutlich enden wird. Genauso verhält sich das Gehirn in bestimmten Situationen oder etwa beim Schmecken
eines Getränks, dessen Wohlfühlwert es im Vorhinein zu bestimmen versucht. Wir haben es hier sowohl mit einem Erwartungsals auch mit einem Belohnungssystem zu tun, das uns motiviert, weil es vorausberechnet, was eine Handlung ergeben wird. Stellt sich das Ergebnis wie erwartet ein, wird es nicht weiter beachtet: So schmecken selbst Champagner und Kaviar irgendwann »normal« - und auf der anderen Seite kann ein Leberwurstbrot zum sensorischen Gaumenschmaus geraten, wenn man es längere Zeit nicht gegessen hat.
Bei Lernvorgängen sind vor allem die Ereignisse von Bedeutung, die sich von dem, was das Gehirn im Voraus errechnet hat, positiv abheben: Überraschendes erhält sofort einen hohen Rang auf der Prioritätenliste. Etwa wenn ein Kind sich mit einer Aufgabe beschäftigt und plötzlich ein Resultat erzielt, das wesentlich besser ist als erwartet. Plötzlich klappt der Handstand perfekt, der Lehrer lobt das Referat deutlich vor der ganzen Klasse, der Englisch-Vokabeltest war fehlerfrei. Solche außergewöhnlichen Ereignisse speichert die Buchhaltung des Gehirns als einen speziellen Eintrag. Das überraschende Signal - das von der Erwartung abweicht - bewirkt im Gehirn, dass das damit verbundene Ereignis besonders gut abgespeichert und erinnert wird. Gelernt wird also nicht nur das, was an Sinnesreizen auf ein Kind einstürmt, sondern vor allem, was positive Konsequenzen hat. Besonders wichtig ist, dass auch der Kontext dieser positiv besetzten Erinnerung mit abgespeichert wird. Dies kann so weit gehen, dass ein Kind nur noch im Auto Vokabeln lernt, weil dieses Verfahren beim letzten Mal unversehens zu einem guten Erfolg geführt hat. Es kann auch bedeuten, dass bestimmte Lernsituationen - seien es die vermittelnden Personen, der Raum oder andere begleitende Umstände - Einfluss darauf nehmen, wie in ähnlichen Situationen die Motivation des Kindes sein wird. Dabei entsteht eine neue Kraft. Wie aber berechnet das Gehirn, ob eine Situation positiv bewertet wird oder nicht? Und wie kommt diese Kraft zustande?
Turbolader im Gehirn
Die Antwort lautet auf eine einfache Formel gebracht: durch Dopamin. Dieser Gehirnbotenstoff ist in vielerlei Hinsicht die Substanz, die uns antreibt. Er ist für Motivation und Belohnung zuständig und aktiviert auf faszinierende Weise die Leistungen vieler Nervenzellen. Dabei gibt es im menschlichen Gehirn nur etwa eine Million Nervenzellen, die Dopamin produzieren. Angesichts von insgesamt 100 Milliarden Nervenzellen eine eher geringe Zahl. Trotz der kleinen Zahl Dopamin produzierender Nervenzellen kommt dem Stoff eine große Bedeutung
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