Wie Kinder heute lernen
Nucleus accumbens aktiviert wird. Dieser kleine Hirnkern, welcher nicht einmal die Größe eines Centstücks besitzt, liegt im vorderen Teil des Gehirns und wird zu den Basalganglien gerechnet. Es sendet Informationen an den Stirnlappen und setzt dort einen Cocktail an Substanzen frei, die ein Gefühl der Euphorie auslösen. Eine Nervenfaserbahn, die nicht nur bei Lernerfolgen aktiv ist, sondern auch bei Drogensucht, sportlicher Betätigung, sozialen Erfolgserlebnissen, bei Sex oder beim Verzehr von Schokolade. Beteiligt an diesem Prozess sind Substanzen, die im Laufe der Evolution zunächst dazu dienten, körpereigene Schmerzbahnen von der Haut über das Rückenmark ins Gehirn zu blockieren - wer vor einem Löwen davonlaufen musste, sollte nicht den Schmerz eines Dorns im Fuß spüren. Diese körpereigenen Schmerzkiller werden auch als körpereigene Opiate (Opioide) bezeichnet, die in der Tat mit den Drogen Morphium und Opium verwandt sind. Ohne die körpereigenen Opioide wäre die Welt ein gleichförmiges emotionales Grau, da diese auf Gehirnstrukturen im Stirnlappen einwirken, die Euphorie bewirken können. Unsere emotionalen Hochs dagegen werden oft durch die Ausschüttung von Dopamin in die Nervenbahnen zum Nucleus accumbens vorbereitet, denn der steuert auch die Ausschüttung der Opioide - vor allem dann, wenn unsere Erwartungen übertroffen werden. Und genau das ist der springende Punkt beim Lernen: Werden Anspannung, Anspruch und Erfolg des Kindes durch die Eltern richtig dosiert, führt das freigesetzte Dopamin im Nucleus accumbens zur Ausschüttung von körpereigenen Opiaten. Dies wird von den Kindern als Belohnung empfunden, und es setzt einen Speicherprozess in Gang, der drei verschiedene Aspekte genauestens festhält: 1. die Tatsache, dass wir überhaupt belohnt wurden, 2. das Wissen, wofür wir belohnt wurden, 3. den Kontext, in dem dies geschah. Sind diese Informationen erst einmal in das Gedächtnis eingraviert, sind wir Menschen bereit, große Anstrengungen auf uns zu nehmen,
wissend, dass sich im Erfolgsfall das wohlige oder einfach gute Gefühl am Ende wieder einstellen wird. Somit ist der Nucleus accumbens der Sitz des Kapiertriebs, der uns in Erwartung der tiefen Befriedigung, ja Euphorie, wenn man etwas sehr Schwieriges ergründet oder verstanden hat, antreibt, allen Mühen zu trotzen und uns anzustrengen. Die konkrete Ausrichtung steuern wahrscheinlich die von den Eltern ererbten Gene zusammen mit den kindlichen und jugendlichen Lernerfahrungen.
Verlangt man von einem Kind zu viel, fühlt es sich hoffnungslos überfordert, und das Gehirn belohnt die Anstrengung nicht. Wird ein zu bescheiden gesetzter Erfolg zur Routine, reagie-ren die Dopamin ausschüttenden Nervenzellen aber ebenfalls nicht ( Abb. 2 ). Ist der Anspruch dagegen richtig dosiert, wird das Belohnungssystem optimal und wiederholt aktiviert. Dies bedeutet nicht zuletzt, seinem Kind zu signalisieren: »Ja ich stärke dir den Rücken, wenn etwas schiefgeht, aber ich erwarte auch etwas von dir.« Eine optimale Leistung entsteht dort, wo die Kompetenz für eine Aufgabe und der Schwierigkeitsgrad sich die Waage halten. Wer seine Kinder unterfordert, sät Langeweile, wer seine Kinder überfordert, muss mit einem Motivationsverlust rechnen. Wer dagegen realistische Ansprüche stellt, steigert die Aufmerksamkeit, das Lernvermögen und die Konzentration bei seinen Kindern.
Abbildung 2 : Das Flow-Phänomen
In der Abbildung ist der Grad der Kompetenz gegen die Anforderung der Aufgabe aufgetragen. Man sieht, dass bei hoher Kompetenz auch eine hohe Anforderung notwendig ist, damit die maximale Leistungsfähigkeit erreicht werden kann. Diesen Zustand bezeichnen Psychologen als Flow, neurobiologisch begründet er sich wohl in einer optimalen Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin.
Bewegung und Belohnung
Motorische Aktivitäten wie Laufen, Wandern, Radfahren, Schwimmen sind eine weitere Möglichkeit, das Erwartungs- und Belohnungssystem des Gehirns zu aktivieren. Aber nicht nur Dopamin und andere Botenstoffe werden bei körperlicher Betätigung ausgeschüttet. Körperaktivität bewirkt auch die Freisetzung von körpereigenem »Dünger«, sogenannten Wachstumsfaktoren, die dazu führen, dass die Nervenzellen im Gehirn besser miteinander verschaltet werden. Wie man in den letzten Jahren herausgefunden hat, werden in einem Menschengehirn auch nach der Geburt noch neue Nervenzellen gebildet. Ihre Entstehung wird von Nervenwachstumsfaktoren
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