Wie Kinder heute lernen
ehesten akzeptieren, dass es deutliche Differenzen im geschlechtstypischen
Verhalten gibt. Dabei ist die Frage, inwiefern menschliches Verhalten maßgeblich vom Erbgut, von der Kultur, der direkten Umwelt und der Gesellschaft, in der Kinder leben, bestimmt wird, so alt wie der Forschungsgegenstand selbst. Dennoch erlauben es die Forschungsergebnisse der letzten Jahre, einige zuverlässige Aussagen zu dem Thema zu machen: z. B. dass Jungen durchschnittlich anders lernen als Mädchen, wohl vor allem aufgrund von unterschiedlichen Interessen. Oder dass die Gehirne von Mädchen und Jungen in einigen Aspekten anders organisiert sind und es wenig Zweck hat, Geschlechtsunterschiede umerziehen zu wollen. Diese Erkenntnisse basieren zwar auf Studien an Gruppen von Jungen und Gruppen von Mädchen, aber auf der individuellen Ebene kann es durchaus Ausnahmen geben, d. h. Mädchen und Jungen, die sich nicht dieser Geschlechtstypologie gemäß verhalten. Zunächst stellt sich jedoch die Frage, worin genau die Verhaltens- und Denkunterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen.
Abbildung 14 : Entwicklung des Wortschatzes bei Mädchen und Jungen Mädchen erwerben Sprache schneller als Jungen und entwickeln auch schneller einen größeren Wortschatz. Der Überlappungsbereich ist jedoch groß, wie die grau hinterlegte Streuung der Daten zeigt.
Statistische Unterschiede zwischen den Geschlechtern
Einig sind sich die Forscher - und dies sei gleich vorab gesagt - darin, dass sich die Geschlechter zwar in einigen spezifischen kognitiven Fähigkeiten unterscheiden, die Gesamtintelligenz (meist gemessen in IQ-Tests) von Männern und Frauen aber gleich ist. Ein dümmeres oder klügeres Geschlecht gibt es nicht, selbst wenn ein Dr. Möbius dies in seinem Buch Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes vor etwas mehr als 100 Jahren, zu wessen Gunsten dürfen Sie raten, für gesichert gehalten hat. Dennoch konnten in kognitiven und motorischen Tests einige subtile geschlechtliche Unterschiede belegt werden. Etwa dass Frauen …
› … im Vergleich zu Männern über eine höhere Wahrnehmungsgeschwindigkeit verfügen.
› … besser zusammengehörende Objekte erkennen können.
› … bei Aufgaben, die einem Memory-Spiel ähneln, das bessere Ortsgedächtnis aufweisen und sich zuverlässiger an markante Punkte entlang eines Weges erinnern können.
› … in sprachlichen Tests besser abschneiden, d. h., fließender sprechen und sicherer lesen. Sie können schneller Wörter erkennen, die einer bestimmten Bedingung genügen (assoziatives Wortgedächtnis), etwa solche, die mit dem gleichen Buchstaben anfangen (lesen-lieben). Darüber hinaus erwerben sie die Sprache schneller (siehe Abb. 14 , Seite 181).
› … bestimmte manuelle Aufgaben mit höherer Präzision erledigen, wie z. B. Stifte in vorgegebene Löcher auf ein Brett zu stecken. Dies lässt Rückschlüsse auf ihre motorische Feinkoordinierung zu.
› … außerdem schneller Kopfrechnen.
› … in Gesichtern anderer, auch unbekannter Menschen schneller und eindeutiger Emotionen erkennen.
Männer hingegen …
› … sind in Tests befähigter, die räumliches Vorstellungsvermögen erfordern. Zum Beispiel können sie sich präziser die
Rotation von dreidimensionalen Objekten mental vorstellen oder die Position von Löchern in einem unterschiedlich gefalteten Papier bestimmen oder die Lage des Wasserspiegels in einem Glas angeben.
› … sind begabter beim Einsatz zielgerichteter motorischer Fähigkeiten, z. B. Pfeile werfen oder das Auffangen von Gegenständen.
› … sind im mathematischen Schlussfolgern besser.
› … finden schneller einen Weg, ohne Landmarken zu benutzen. Ihre geographische Orientierung ist demnach sicherer.
› … verfügen über ein besseres mechanisches Verständnis. Alles in allem sind die Ausprägungen dieser Unterschiede jedoch relativ gering. Und es gibt viele individuelle Ausnahmen, sowohl was die Sprachfähigkeit als auch die räumliche Orientierung angeht. Manchmal ist die Leistungsfähigkeit beider Geschlechter sogar gleich, aber es werden verschiedene kognitive Fähigkeiten benutzt. So sind Frauen imstande, Wege und Ziele ebenso schnell zu finden wie Männer, aber sie orientieren sich dabei überwiegend an Landmarken und nicht an geografischen Koordinaten.
Auffällig ist ein weiterer Unterschied zwischen den Geschlechtergruppen: Bei vielen kognitiven Fähigkeiten verteilen sich die Leistungen der Jungen über ein wesentlich
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