Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
Vom Netzwerk:
haben, Gott bewahre.
    Er bringt mir seine Schreibtischlampe, damit ich mir nicht die Augen verderbe, schraubt sie fest, findet aber das Verlängerungskabel nicht. Wir müssen suchen. Es liegt unter der Schmutzwäsche im Korb. Er verzeiht mir, stellt das neue Licht auf den Tisch, fixiert es, fragt, warum ich ihn so ansehe und ob es mir nicht recht ist, daß er mir sein Licht leiht. Bleib nicht zu lange auf, es ist schon Mitternacht vorbei! Er kommt noch einmal aus dem Schlafzimmer, das Kofferradio unterm Arm, setzt sich hinter mich, wartet, trägt wieder den hellblauen Pyjama. Das Täschchen habe ich abgetrennt. Worüber denkst du nach? Vielleicht fällt dir heute nichts mehr ein, weil du müde bist? Warum kommst du nicht ins Bett?
    Soll ich aufhören?
    Nein, ich werde mir ein Buch holen. Ich werde lesen, während du schreibst. Ich finde es rührend, wie du so sitzt und aussiehst, als dächtest du über etwas Wichtiges nach. Er atmet auf, als ich das Schulheft zuschlage, Tadelt mich, weil ich im Begriff bin, es zu zerreißen. Wir blättern es durch. Es ist aus der Volksschulzeit. Heimatkunde. Ich hatte damals eine runde Schrift. Nicht meine. Ich bewunderte Gerlinde, die so zügig schrieb, und ich malte die Schrift einfach nach. Später habe ich ein Mädchen mit enger, eckiger Schrift bewundert. Daher schrieb ich eckig. Dann schrieb ich wie Vater. Ich habe mir viele Handschriften bis heute bewahrt. Ich kann meine Schrift beliebig ändern, und vielleicht befindet sich meine eigene Schrift gar nicht unter den vielen, die ich verwende. Das kommt, sagt Rolf, weil du eben doch Beziehungen zu den Menschen hast, die um dich leben. Warum doch? Jetzt gesteht er, daß seine Mutter sich über meine Beziehungslosigkeit zur Umwelt beklagt hat. Ich gehe ins Bad, Rolf folgt mir, und ich habe Beziehung zur Zahnpasta, zur Zahnbürste, zu Mandelkleie, Feuchtigkeitscreme, Schwefelstein, eine starke Beziehung zu meiner Nagelbürste, zum Achselspray, der jetzt reglos auf dem Regal steht wie alle anderen kleinen Freunde im Badezimmer, und vorhin haben sie noch über mich gekichert. In einem Film war ein Mann, der fuhr mit seiner Pranke einfach über die vollen Regale der Frau, mit der er Kummer hatte, und er fegte alles auf den Badezimmerboden und starrte zufrieden in die ineinanderfließenden Kosmetika. Und auch in die Scherben. Ich tue nur Nützliches. Ich putze die Zähne und gehe noch aufs Klo, Rolf wartet, ich kämme mich noch und drücke den Mitesser aus, der ihn stört, ich darf keinen Lärm machen, die Nachbarn schlafen. Rolf sagt, in den Flaschen im amerikanischen Film waren nur gefärbte Flüssigkeiten. Ich schrumpfe zu einem bitteren Kern, der sich ausspucken möchte. Das werde ich morgen ins Wirtschaftsbuch schreiben.
    Warum habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich Karl besuche? Das Haus, in dem er mit seinen Eltern lebt, ist ärmlich. Küchengerüche schlagen einem schon an der Haustür entgegen, von irgendwo kommen die grunzenden Laute seiner Schwester, die gesund geboren wurde und an der man eine Gehirnhautentzündung übersah. Taub und stumm geht sie in der Küche auf und ab, mit bockigen Schritten, die Hände über der Brust gefaltet, knurrt, legt ihren Kopf auf die Schulter von Karls Mutter, will gestreichelt werden, und Karls Mutter fragt, ob sie mich noch mit dem Vornamen ansprechen darf, sie streichelt dabei den Scheitel der dreißigjährigen Tochter, sagt, daß die Kleine so gern schmeichelt und so viel Liebe braucht.
    Karl ist oben, sagt die Mutter, er wird sich freuen, daß Sie gekommen sind. Aber Karl antwortet nicht auf mein Klopfen. Wenn er betrunken ist, nimmt er meist zwei Schlaftabletten, um sich für eine Weile fortzuschaffen. Ich bin nicht gekommen, um ihn zu fragen, wie Mondfischbrüste aussehen. Ich wollte wissen, was er meinte, als er einmal sagte: Du bist für mich wahrscheinlich, was für Caligula der Mond ist. Karl hat Sartre und Camus gelesen. Ich habe alle Briefe aufbewahrt, die er mir geschrieben hat. Ich war so stolz, daß einer mir Briefe schrieb, die so gescheit waren, daß ich sie nicht verstand. Ich klopfte wahrscheinlich auch viel zu leise. Ja, der Karl arbeitet viel, er ist vielleicht müde geworden und hat sich hingelegt, sagt seine Mutter, als ich mich verabschiede. Herzliche Grüße an Ihren Mann, ruft sie mir nach.
     
     
    Meine Schwiegermutter strickt, immer strickt sie mit vorgeschobenem Kinn. Ihre regelmäßige Prothese, neu aus Linz, ist unpersönlich. Die vielen hellgrauen

Weitere Kostenlose Bücher