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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Straßengräben, dann war Großmutter für ein paar Minuten ganz still. Und wenn Vater vergessen hatte, daß sie neben ihm saß, erinnerte sie sich an eine Geschichte, und so jeden Sonntag, bis alle Leute ein Auto hatten und Ausflüge machten. Da blieben wir dann daheim.
    Liebe Hermine, schreibt Amalie, danke für Beileidschreiben und schwarze Socken und Tee. Pickpflaster hast du vergessen, auch Tausendguldenkraut und Taschenmesser für den Käshändler. Hat wieder nach dir gefragt. Roberto hat einen Sohn bekommen. Es grüßt dich deine Amalie aus dem heißen Süden.
    So endet jeder Brief. Teile dir mit großem Leid mit, daß mein Mann gestern tödlich verstorben ist. Lach nicht, sagt Großmutter, sie ist eine arme Hautund sieht fast nichts mehr. Deutsch hat sie nie richtig gelernt in der Steiermark, weil sie ein einfacher Mensch war, und in Italienisch kann sie nur das Notwendigste. Nie lachen, hat Großmutter gesagt, über die einfachen Menschen. Schatulle zugesperrt. Obwohl ich noch gern gewußt hätte, was in den Briefen steht, die Vater von der Front geschrieben hat, wo er das Lazarett leitete. Diese Briefe haben wir alle vernichtet, sagt Großmutter.
    Ich glaube es nicht. Du kannst es mir ruhig glauben, sagt Großmutter, ich lüge nicht. Und Mein Kampf? Warum habt ihr Mein Kampf aufgehoben? Das muß doch gefährlich gewesen sein, Mein Kampf aufzubewahren, als die Russen unsere Stadt besetzten! Das ist etwas anderes, sagt Großmutter, den habe ich auf dem Dachboden versteckt, wie alles, was einmal Seltenheitswert haben wird. Unser Mein Kampf ist ja die erste Auflage.
    Als die Sowjets die Tschechoslowakei von der Dubček-Gesellschaft befreiten, da griffen viele Hände in unserer Stadt nach Mein Kampf und versteckten die schwarzen Bücher wieder auf dem Dachboden. Großmutter holte das Russisch-Lehrbuch vom Dachboden herunter und legte es auf den Küchentisch. Ihre Küchentür ist ja gleich die erste, wenn man ins Haus kommt, und wenn sie kommen, sagte Großmutter damals im August, dann zeige ich ihnen das Buch und sage: Ich nix Faschista, ich Katholika in Austria sempre. Weil so etwas immer hilft, es half auch in dem Bahnabteil zwischen Rom und Neapel, als die Mitreisenden sie böse anschauten und ihr keinen Platz geben wollten zum Sitzen und für den Koffer. Da zog Großmutter das große Goldkreuz unter der Bluse hervor und sagte: Io mamma dottore in Austria, io Katholika sempre. Da sprang der Italiener, der ein Messer bei sich hatte, sofort auf, stellte Großmutters Koffer in den überfüllten Gang und bot ihr sogar den Fensterplatz an.
    Das goldene Kreuz zeigte sie auch, wenn sie in Sizilien schon knapp mit dem Geld ist und per Autostopp ein paar Wege für die Amalie macht. So wird sie nie vergewaltigt, und Vater war immer froh, daß sich Großmutter nur in Sizilien so aufführte. Bis er erfuhr, daß sie auch bei uns manchmal per Autostopp von einem Bauern zum anderen fährt, um frischen Speck und Eier zu holen. Ein Patient, der Großmutter einmal mitgenommen hatte, erzählte es in der Ordination. Ihre Frau Mutter, sagte er. Da gab es einen großen Krach. Einmal zu Weihnachten hatte Großmutter ein blaues Auge und Verletzungen im Gesicht. Sie war in einen Unfall verwickelt gewesen, hatte aber nie genau erzählt, wie sie in das Auto gekommen war. Der, der sie mitgenommen hatte, war ein Prolet gewesen, und Großmutter wich allen Fragen aus. Dann erfuhr Vater, daß Großmutter sich manchmal oder eigentlich fast täglich im Wartezimmer erkundigte, wer unter den Patienten als letzter drankommen würde. Wenn sich der letzte Patient meldete, wurde er von Großmutter zum Fleischhauer geschickt. Einmal war Vater früher fertig, und der letzte Patient kam atemlos die Stiegen herauf. Er erklärte sein mysteriöses Verschwinden, und Vater mußte ihn noch drannehmen, obwohl schon Ordinationsschluß war. Vater drohte Großmutter, seinen Beruf an den Nagel zu hängen, wenn sie nicht endlich begriffe, wie sie sich als Mutter eines Arztes zu verhalten hätte. Das weiß ich besser als du, sagte sie, du bist halt kein praktischer Mensch.
     
     
    Führst du ein Tagebuch? Rolf lächelte. Warum sagst du nicht, daß du so was haben willst? Ich werde dir ein richtiges Tagebuch kaufen, mit Schlüsseln, dann kannst du deine kleinen Geheimnisse vor mir versperren. Hast du überhaupt Geheimnisse? Nein? Ist etwas passiert? Was schreibt man denn ins Tagebuch, wenn nichts passiert ist?
    Bitte, lies.
    Nein, du sollst deine Intimsphäre

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