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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Zähnchen legt sie über Nacht in ein Glas Wasser. Immer wenn sie spricht, habe ich Angst, das Lächeln könnte ihr plötzlich herausfallen. Sie will, daß ich sie Mama nenne. Ich bin oft sprachlos vor Angst, wenn sie mich so anlächelt. Wie stehe ich dann da, wenn ihr alles herausfällt und nur ein Loch da ist? Wohin werde ich schauen? Früher einmal war sie Buchhalterin. Sie hatte damals schon diese schrille und anhaltende Stimme, so daß man, wenn man sie etwas fragte, es gleich bereute. Sagt meine Mutter, die oft mit Finanzamtsorgen zu ihr ging. Meine Schwiegermutter gibt gern Ratschläge, die sie in Drohungen verpackt. Sie verdunkelt jedes Problem, das man mit ihr aufhellen will, gleich mit wüsten Andeutungen auf alles, was einem zustoßen kann. Es heißt, daß Rolfs Vater sich seine Frau ins Büro setzte, wenn ein Geschäftsbesuch nicht und nicht gehen wollte.
    Sie bestreicht ein gebähtes Weißbrot mit Butter und Zucker, weil Rolf ihr gesagt hat, daß ich genäschig bin. Mach dir keine Sorgen wegen der Pickel, die werden vergehen, wenn du erst ein paar Jahre verheiratet bist und Kinder hast. Iß nur. Sie strickt etwas Graues. Ihr Mann war auch so klein und grau. Er hatte hohen Blutdruck und mußte mit Gewürzen vorsichtig sein. Wenn sie beim Essen wegschaute, streute er schnell viel Salz auf sein Stück Fleisch. Nachts schlief er im Wohnzimmer, weil er dort die Füße hochlagern konnte. Wegen seiner Krankheit. Heißt es. Schwiegermutter strickt alles in die graue Wolle hinein. Sie sagt: Du solltest stricken. Sie möchte ein Zimmer vermieten, an eine nette Studentin, aber heute gibt es ja keine netten jungen Mädchen mehr. Außerdem gibt es hier keine Studentinnen, hat Rolf zu ihr gesagt. Sie ist empört: Wer ins Gymnasium geht, ist ein Student. Und sie würde gern vermieten, um nicht allein zu sein. Rolf ist dagegen, weil es schlecht aussieht, wenn seine Mutter vermietet. Mein Mann schlürfte beim Essen, sagt sie, und er hörte gern Märsche. Du, du magst mich doch, sagt sie, wie sind deine Körpermaße, ich stricke dir einen schönen Pullover. Rolf wird Augen machen!
    Ich erinnere mich an das Begräbnis meines Schwiegervaters. Wir hatten Lateinstunde. Der Lateinprofessor ging zum Fenster und ließ uns auch alle zum Fenster hinausschauen. Der Leichenzug kam direkt am Gymnasium vorbei, und da sah ich den Rolfi vorne gehen, mit seiner Mutter. Er war die wichtigste Person vom ganzen Begräbnis, weil er der einzige Sohn war und weil der Vater in ihm weiterlebte. Und es war so traurig, daß er jetzt nur noch eine Mutter hatte. Vielleicht habe ich ihn deswegen geheiratet? An einen Maiabend erinnere ich mich, da war Rolf schon so groß, viel größer auf einmal als vorher, unterm Fenster, und er hatte ein Fahrrad an den Marienbrunnen auf dem Stadtplatz gelehnt, und er und Albert und Karl, und andere aus seiner Klasse, die liefen um den Marienbrunnen herum. Warum? Jedenfalls stand Hilde neben mir, und sie zeigte auf Albert, und da zeigte ich auf Rolf, das war wie eine Abmachung. Damals wußte ich nicht, daß Albert ein Muttermal am Kinn hatte. Albert hatte gar nichts. Karl hatte auch nichts. Rolf hatte schon das Fahrrad, und ich durfte einmal auf der Stange sitzen. Da hat meine Mutter sehr geschimpft, aber mein Vater lächelte irgendwie zufrieden, und ich dachte: Jetzt bin ich verliebt. Mama strickte gerade einen schönen Tag aus ihrer Ehe ins Wollzeug hinein. Es war auf dem Pöstlingberg, und sie trug Rolf unterm Herzen, und unter ihnen lag Linz, das war nach dem Krieg, und ihr Mann hat ihr gestanden, daß sie die erste Frau war, mit der er überhaupt etwas hatte. Ich auch, sage ich, ich habe nur Rolf gehabt und vor ihm keinen. Siehst du, sagt sie, das findet man selten.
     
    Den Lateinprofessor gibt es noch. Ich treffe ihn auf dem Stadtplatz, er sagt Gnädigste und zeigt mir einen Zettel, den er immer bei sich trägt. Darauf stehen alle Mahnungen und Nichtgenügend, die er verteilt hat im letzten Schuljahr. Er sagt, ich soll das vergleichen mit allen Mahnungen und Nichtgenügend, die seine Kollegen verteilt haben. Die stehen auch auf dem Zettel, und es kommt dabei heraus, daß er nicht der Strengste ist, sondern nur der Zweitstrengste. Ich weiß nicht, ob ihn das freut oder stört. Vielleicht trägt der den Zettel auch nur bei sich, um die langen Sommerferien zu überstehen. Ein Lungenkrebs wird ihm nachgesagt, und man will ihm die Pension oktroyieren. Aber er geht nicht in Pension, weil das, was heute von den

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