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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Rückkehr aus Italien musterte er sie eines Nachmittags und sagte: «Er hat es also geschafft, dieser Papagallo!»
    «Was hat wer geschafft?» Lauras rhetorische Frage klang selbst in ihren eigenen Ohren sehr flau.
    «Tu doch nicht so, Laura! Ich rede von diesem Commissario aus Siena, mit dem du angeblich nur zusammen gearbeitet hast! Deinem alten Vater kannst du nichts vormachen!»
    «Aber ich habe keine Affäre! Ich habe keine Zeit für Affären, weil ich dich und zwei Kinder versorgen muss. Außerdem habe ich noch einen ziemlich anstrengenden Job, falls du das vergessen hast.» Laura hörte sich selbst zu und dachte: laut, aber nicht überzeugend.
    Der alte Gottberg schüttelte den Kopf und sagte etwas, das Laura vollkommen aus der Fassung brachte.
    «Das ist aber schade, mein Kind!» Ernst und sehr freundlich tätschelte er dabei ihren Arm. Da setzte Laura sich neben ihn, legte den Kopf an seine Schulter und weinte so heftig und lang, dass sein Pullover ganz nass wurde. Er aber blieb ganz ruhig, hielt nur ihre Hand – nicht besonders fest, sondern so leicht, dass Laura sie kaum auf ihrer spürte. Da musste sie noch mehr weinen, weil er so behutsam mit ihr umging.
    Als Laura sich endlich wieder beruhigt hatte, füllte ihr Vater zwei Gläser mit Rotwein und stieß mit ihr an.
    «Auf deine Mutter und diesen Kerl in Siena!», murmelte er und lächelte. Aber Laura hatte genau gesehen, wie er sich verstohlen über die Augen wischte, und sie musste ein paar Mal schlucken, um nicht sofort wieder in Tränen auszubrechen, als er hinzufügte: «Tut weh, wenn man von denen getrennt ist, die man liebt, nicht wahr?»
    Diesmal war sie es, die ihre Hand auf seine legte, doch er schob sie fort.
    «Siena ist immerhin nicht aus der Welt!», brummte er und trank einen großen Schluck.
    Aus der Welt, dachte Laura. Mama ist aus der Welt. Er wird nie darüber hinwegkommen. Wie denn auch   …
    Und jetzt stand sie vor dem Anrufbeantworter und fürchtete sich plötzlich davor, auf den Knopf zu drücken, obwohl sie gleichzeitig begierig war, seine Stimme zu hören. Es gab keinen richtigen Raum für diese Beziehung   … Beziehung, dachte sie, jetzt denke ich schon Beziehung statt Liebe! Es war und ist Liebe, aber sie findet vollkommen außerhalb meines normalen Lebens statt. Und bei aller Sehnsucht, allen Fluchtgedanken und wilden Phantasien geht es eigentlich nicht!
    Sie kehrte in die Küche zurück, brühte sich noch eineTasse Tee auf und schaute durch die gläserne Balkontür zum Himmel hinauf. Da waren sie wieder, die Krähen. Zu Hunderten flogen sie über die Dächer hinweg nach Süden, wie jeden Morgen. Die Winterkrähen. Migrantenkrähen – eine andere Art als Dr.   Reiss. Entschlossen wandte sie sich zum Telefon, um Angelos Nachricht abzuhören.
    «Entschuldige, Laura   … ich weiß, ich sollte das nicht tun. Aber ich konnte einfach nicht anders, konnte auch nicht schlafen nach unserem Gespräch gestern Abend. Du hast mir sehr gefehlt, weißt du   … und dann habe ich mich auf meine Terrasse gesetzt, in eine Decke eingehüllt, habe nicht mal was getrunken, sondern den Mond angeschaut und darüber nachgedacht, was ich so alles gemacht habe in meinem Leben. Kennst du solche Stunden? Aber das wollte ich dir eigentlich nur so nebenbei erzählen. Wie ich so saß, zischte nämlich die größte Sternschnuppe, die ich jemals gesehen habe, über den Himmel – eigentlich knapp über die Türme von Siena. Ich dachte schon, sie käme auf mich zu. Ich bin sogar erschrocken   … aber dann habe ich mir trotzdem etwas gewünscht. Du kannst mich jetzt für einen sentimentalen Trottel halten – es ist mir egal. Aber ich wollte dir das sagen. Wo bist du denn? Hast du einen so tiefen Schlaf, oder arbeitest du? Etwas anderes wage ich nicht zu denken, cara. Jetzt hör ich besser auf, sonst wecke ich noch deine Kinder. Buona notte.»
    Mit geschlossenen Augen stand Laura im Flur, wusste nicht weiter. Dachte: Es wird vorübergehen – ich hatte schon viele Situationen, in denen ich feststeckte. Es ging immer weiter – bisher jedenfalls. Sie machte die Augen wieder auf, setzte sich neben das Telefontischchen und lauschte ein zweites Mal Angelos Worten, dann ein drittes Mal. Schließlich rappelte sie sich auf und löschte die Nachricht. Mit klopfendem Herzen und widerstrebender Hand.
    Sie antwortete ihm halblaut, während sie ihren Tee trank, aber gar nicht merkte, dass sie trank.
    «Ja, ich kenne das – ich schaue auch manchmal den Mond an.

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