Wie Krähen im Nebel
Hand voll Trauben und machte Milch warm. Dann schnitt sie Brot, packte Käse und Tomatenscheiben dazwischen, ein Salatblatt. Sandwich. Fertig.
Ich funktioniere, dachte sie. Ganz hervorragend. Bevor ich gehe, werde ich noch eine Waschmaschine füllen und tagsüber beten, dass sie nicht ausläuft. (Einmal war sie so gründlich ausgelaufen, dass sich bei den Mietern im dritten Stock die Tapeten von den Wänden gelöst hatten.) Ich werde den Inhalt des Kühlschranks überprüfen, eine Einkaufsliste für Luca schreiben – aber vielleicht kann ich den Einkauf zwischendurch selbst erledigen … und ich werde Vater anrufen. Sofia müsste zum Zahnarzt, aber das hat Zeit bis nächste Woche.
«Na, wie war die Leiche im Nebel?»
Laura zuckte heftig zusammen, drehte sich um und versetzte Luca einen leichten Stoß gegen die Brust.
«Mach so was nicht! Ich hab nicht geschlafen und bin ein bisschen dünnhäutig!»
«Oh, entschuldige! War nur so’n dummer Witz. Schön, dass du wieder da bist!» Luca grinste verlegen und rieb sein linkes Ohr, bis es rosig anlief. «Ist das Bad frei?»
«Nein, Sofia ist gerade drin.»
«Gibt’s schon Kaffee?»
«Es gibt nie Kaffee, Luca!» Laura runzelte die Stirn. «Du bist viel zu jung, um morgens Kaffee zu trinken! Warum fängst du immer wieder davon an?»
«Keine Ahnung!» Er zuckte die Achseln.
«Heiße Schokolade oder Kräutertee?»
«Heiße Schokolade … ist ja schon gut, Mama. Ach, übrigens. Da kam noch ein Anruf, als du schon weg warst. Ich bin wieder aufgewacht – war irgendwie nicht meine Nacht. Sofia kam auch an. Jemand hat auf den Anrufbeantworter gequasselt – auf Italienisch. Irgendwas von einer riesigen Sternschnuppe oder so. Ich hab nicht alles verstanden. Vermutlich hatte der sich verwählt. Kannst es ja abhören! Oder hast du schon?»
Laura betrachtete nachdenklich ihren großen, dünnen Sohn mit den verstrubbelten dunkelblonden Haaren, die er sich in ein paar Minuten mit Styling Gel nach oben kämmen würde, sodass sie aussahen, als würden sie ihm zu Berge stehen.
Ich habe meinen Kindern noch immer nichts von Angelo erzählt, dachte sie und kam sich feige vor.
Rosl Meier hatte eine schlechte Nacht hinter sich. Nach ihrem Anruf bei der Polizei war sie gleich nach Hause gegangen. Sie hatte Angst. Je länger sie nachdachte, desto mehr Angst bekam sie. Bei ihrer Firma wussten die genau, wer im Wagen zwölf Dienst hatte. Wenn die Polizei Druck machte, würden sie es wahrscheinlich sagen. Dann half es überhaupt nichts, dass Sefika und sie weggelaufen waren. Der Job wär weg, und wer weiß, was noch passieren konnte.
Zum Glück hatte Rosls Mutter nicht gehört, wie sie in die Wohnung geschlichen war. Sonst hörte sie immer alles. Obwohl sie eigentlich schwerhörig war. Und dann stellte sie Fragen.
«Wo hast dich denn wieder rumgetrieben?» So fragte sie mit ihrer hohen Greisinnenstimme. Rosl bekam immer Hunger, wenn sie diese Greisinnenstimme hörte. Musste dann sofort etwas essen und dieses Loch in ihrem Bauch stopfen. Natürlich wusste sie, dass es nicht normal war, mit zweiundvierzig Jahren immer noch zu Hause zu wohnen, unter der Fuchtel dieser knochigen Alten, die nie ein gutes Wort für sie übrig hatte. Ganz besonders nicht, wenn Rosl zaghafte Versuche unternahm, ein bisschen zu leben.
Manchmal ging Rosl nämlich in die Wirtschaft nebenan. Trank ein paar Bier mit den anderen, die es zu Hause nicht aushielten. Rosl wusste genau, dass die kleine Bierstube der Sammelplatz für Leute war, die im Leben nicht besonders gut zurechtkamen. Es tat ihr manchmal weh, das zu wissen. Weil sie selber auch dazugehörte.
Aber sie dachte nicht immer daran. Wenn sie nicht daran dachte, war es gut, mit den anderen zu sein. Die redeten dann miteinander und mit ihr oder saßen einfach nur da und schauten vor sich hin. Ein paar spielten Karten oder warfen Münzen in den Spielautomaten. Was sollte man denn auch anderes machen? Es war trotzdem gut, weil man nicht allein war. Weh tat es nur, wenn Rosl die ganze Zeit wusste, dass sie alle Verlorene waren. Das passierte manchmal, sie wusste selbst nicht, wann und warum. An solchen Abenden trank sie mehr als sonst.
Zum Glück geschah das nicht sehr oft. Meistens war es nicht so schlimm, und Rosl hatte noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, dass sie vielleicht eines Tages einen Mann treffen würde, mit dem alles anders werden könnte. Bis dahin fühlte sie sich ganz geborgen in der kleinen Kneipe, wo sie eigentlich alle
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