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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Die Kommissarin im Fernsehen sagte es denen ganz klar ins Gesicht. Aber Roslkannte es auch aus ihrem eigenen Leben. Dass es anderen gut ging, wenn sie Angst hatte. Ihre Mutter war auch so gewesen – früher, als sie noch nicht so alt und schwach war und Rosl noch klein. Da hatte sie Rosl mit dem Kochlöffel verprügelt und Rosl hatte ihre Augen gesehen. Die hatten ausgesehen, als würde es ihr Spaß machen!
    Rosl umfasste mit beiden Armen ihren schweren Körper und hielt sich selber fest. Wippte ein bisschen mit den Füßen, trank dann die letzte Bierflasche leer und schlich sich durch den dunklen Gang zum Klo.
    Das Klo lag genau neben der Wohnungstür. Rosl legte das Ohr an den Briefschlitz und horchte. Die Klappe machte sie aber nicht auf. Das konnte gefährlich sein. Wenn er davor stand, konnte er durch die Klappe auf sie schießen. Rosl überprüfte, ob die Sicherheitskette eingehängt war. Für alle Fälle. Wieder horchte sie. Es war aber absolut nichts zu hören, draußen. Gerade wollte sie aufs Klo gehen, weil das Bier auf ihre Blase drückte, da hörte sie jemanden husten. Genau vor ihrer Wohnungstür. Rosl presste sich an die Wand, machte sich so flach es ging, zog sogar den Bauch ein. Ihr Herz schlug unregelmäßig, und sie konnte kaum atmen. Jetzt hustete es wieder.
    Er ist da, dachte Rosl. Ich hab’s gewusst, er ist da!
    Zitternd schob sie sich an der Wand entlang, seitwärts, bis sie die Klotür erreichte, schlüpfte hinein in den kalten, viel zu langen, viel zu hohen Raum, an dessen Ende eine Toilettenschüssel unter dem ebenfalls zu hohen Fenster stand. Wieder wagte sie es nicht, Licht zu machen, schob den Riegel vor, lauschte mit angehaltenem Atem. Jetzt hustete niemand mehr. Aber wahrscheinlich konnte sie es durch die dicke Tür nicht hören.
    Eine halbe Stunde blieb Rosl in der ungeheizten Toilette und traute sich nicht hinaus. Irgendwann fiel ihr ein, dass esvielleicht ihre Mutter gewesen sein könnte, die gehustet hatte. Ihre Mutter hustete nachts ziemlich oft, weil sie dann einen trockenen Hals bekam. Jedenfalls behauptete sie das. Rosl dachte, dass es mehr an den Zigaretten lag, die ihre Mutter noch immer rauchte, obwohl sie schon sechsundachtzig war und der Arzt gesagt hatte, dass sie eine Kandidatin sei, wenn sie das Rauchen nicht sein ließe. Eine Kandidatin!
    «Kandidatin für was?», hatte ihre Mutter zu Hause gefragt. «Was diese Ärzte sich erlauben! Mit sechsundachtzig ist man keine Kandidatin mehr!»
    Rosl hatte die Schultern gezuckt und gedacht, dass sie ihr schon sagen könnte, was für eine Kandidatin der Arzt meinte. Aber das ließ sie besser bleiben! Sie wollte keinen Ärger! Sollte doch der Arzt sagen, was er damit meinte. Aber den zu fragen, war ihre Mutter zu feige.
    Das alles ging Rosl durch den Kopf, während sie auf dem kalten Klodeckel saß. Je länger sie saß, desto überzeugter war sie davon, dass ihre Mutter gehustet hatte. Es war nämlich eiskalt auf dem Klo, und das Fenster schloss nicht richtig. Als sie vor Kälte zu zittern begann, raffte sie sich auf, öffnete Millimeter um Millimeter die Klotür und huschte, als alles ruhig blieb, in ihr Zimmer. Das schloss sie zweimal ab, zog sich nur halb aus und schlüpfte unter das dicke Federbett. Sie sehnte sich nach einer Wärmflasche, aber keine zehn Pferde hätten sie nochmal aus ihrem Zimmer gebracht. Bis zum Morgengrauen blieb sie steif auf dem Rücken liegen, den Kopf hoch auf den Kissen, damit sie genau hören konnte, ob sich etwas in der Wohnung bewegte. Irgendwann fragte sie sich, was wohl eine Kommissarin in ihrer Situation machen würde. Aber es fiel ihr nichts ein.

 
    Als Sofia und Luca gegangen waren, beschloss Laura Gottberg, den Anrufbeantworter abzuhören. Aber selbst jetzt, da sie ungestört war, stand sie unschlüssig vor der blinkenden Anlage. Beinahe zwei Monate war es her, seit sie Angelo zum letzten Mal gesehen hatte – hinter der silbernen Tür auf dem Flughafen von Florenz, die sich unbarmherzig zwischen sie und ihn schob und ihr das Gefühl gegeben hatte, als müsse sie sterben. In den ersten Wochen hatte sie geglaubt, nicht weitermachen zu können. Da war plötzlich ein unbändiger Groll gegen ihre Familie, sogar gegen Luca und Sofia und ihren alten Vater, der sie so sehr brauchte. Sie hatte ihn verborgen, diesen Groll, ziemlich geschickt sogar. Ihre Gereiztheit tarnte sie als Überarbeitung. Bei den Kindern war das halbwegs gelungen – nicht so beim alten Gottberg.
    Zwei Wochen nach ihrer

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