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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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auf der Jagd, aber wir haben nur fünf Vögel erwischt. Drei wollte Giorgio behalten – na ja, seine Familie ist größer als meine.» Fernando Guerrini stand im halbdunklen Flur und sah seinen Sohn vorwurfsvoll an. Trotz seiner sechsundsiebzig Jahre hatte Fernando kaum graue Haare, nur seine Augenbrauen waren weiß und der Backenbart, den er sich seit ein paar Monaten hatte wachsen lassen. Er war groß, ging ein klein wenig gebeugt, obwohl er sich immer wieder bewusst aufrichtete. Doch kaum dachte er nicht an die aufrechte Haltung, sank er vornüber. Das machte ihn häufig wütend.
    «Dieses hinterlistige Leben!», sagte er dann. «Es will mich klein machen. Ich kann es richtig hören, wie es flüstert: Runter mit dir, Fernando! Aber ich hör nicht drauf! Mich kriegt es nicht so schnell runter! Mich nicht!»
    Angelo Guerrini stieg über den Hund, hängte seine Jacke an die schmiedeeisernen Haken unter dem riesigen schwarzweißen Foto seiner Großeltern. Sie haben stechende Augen, dachte er. Kein gutes Bild für eine Eingangshalle – und ihm fiel auf, dass ihm dieser Gedanke auch schon öfter gekommen war, und doch hatte er es bisher nicht geschafft, seinem Vater ein Blumenbild oder ein Landschaftsgemälde zu schenken, um die Großeltern in einen Winkel zu verbannen.
    Manchmal hatte auch sein Vater diesen stechenden Blick. Jetzt zum Beispiel stand er da und schaute noch immer vorwurfsvoll. Guerrini wusste genau, dass er auf eine ärgerliche Antwort wartete. Eine Antwort auf die Bemerkung: «Giorgios Familie ist größer als meine!» Der alte Guerrini kam nicht darüber hinweg, dass Angelo keine Kinder in die Weltgesetzt hatte. Und seit Carlotta nach Rom gegangen war, gab es keine Hoffnung mehr auf Enkel.
    «Nett von dir, dass du Giorgio drei Fasane gelassen hast!», sagte Guerrini. «Es riecht gut! Wie hast du sie zubereitet?»
    Der alte Mann antwortete nicht, sondern drehte sich um und ging voraus in die große Küche. Im offenen Kamin brannte Feuer, und zwei Teller, Besteck, Gläser und eine Karaffe voll Rotwein standen auf dem blank gescheuerten Holztisch. Es roch köstlich nach Holzfeuer und Fasanenbraten. Seit dem Tod seiner Frau lebte der alte Guerrini hauptsächlich in der Küche – dem ehemaligen Refugium der «Hexe». Manchmal fragte sich der Commissario, ob das ein Versuch seines Vaters war, seiner Frau nahe zu sein.
    Jetzt goss der alte Mann roten Wein in die beiden Gläser, drehte sich dann blitzschnell zu seinem Sohn um und sagte: «Sei nicht immer so verdammt nett und beherrscht! Und frag nicht, wie ich die Fasane zubereitet habe, wenn es dich nicht wirklich interessiert!
Porco dio!»
    «Aber es interessiert mich!», protestierte Guerrini. «Du weißt genau, dass ich gern esse!»
    «Dann könntest du mich auch mal zum Essen einladen, nicht wahr? Diese Mittwochabende werden allmählich so was wie eine Krankheit! Salute!» Fernando hob sein Glas, und Guerrini folgte beschämt seinem Beispiel. So war es fast immer zwischen ihnen gewesen: Sie dachten beide etwas Ähnliches und konnten doch nicht darüber reden.
    «Gut!», sagte er und versuchte ein Lächeln. «Nächste Woche kommst du zu mir, und nicht am Mittwoch, sondern wann du Lust dazu hast!»
    «Kannst du kochen?», fragte der alte Mann misstrauisch und brach dann gleichzeitig mit seinem Sohn in Gelächter aus. Guerrini stellte sein Glas ab und trat neben seinem Vater an den Herd. Jetzt waren sie sich nahe – wie lange? Bis einervon ihnen die Tür wieder zumachte. Genau so lange. Noch war die Tür offen. Sollte er seinem Vater von Laura erzählen? Was würde der alte Partisan zu einer deutschen Kriminalkommissarin sagen   … na ja, immerhin hatte Laura eine italienische Mutter.
    Guerrini sah zu, wie sein Vater die knusprigen Vögel mit Bratensaft übergoss, und das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er die Esskastanien in der Kasserolle entdeckte.
    «Noch fünf Minuten!», sagte der alte Mann stolz und richtete sich sehr gerade auf. «Ich habe übrigens heute eine traurige Geschichte gehört. Erinnerst du dich noch an den Conte Barelli? Ein alter Geschäftspartner. Wir haben Keramik nach Amerika verkauft, bis die Finanzpolizei ihren Aufstand veranstaltete. Na ja, ist lange her, und der Conte ist zehn Jahre älter als ich. Heute hatte ich einen merkwürdigen Anfall. So ein Bedürfnis, alte Bekannte anzurufen, ehe es zu spät ist. Hat wahrscheinlich was mit dem Alter zu tun   …» Er bückte sich und zog die Kasserolle aus dem

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