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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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eingebildeter Depp! Hast mir gerade noch gefehlt heute Abend! Ich werde dir nicht den Gefallen tun, die Fassung zu verlieren. Ich werde nicht mal lauter werden!
    «Ich wünsche Ihnen allen einen guten Abend!», fügte sie laut hinzu, brachte sogar ein Lächeln zustande und ging, ohne auf eine Antwort des Oberarztes zu warten.
     
    «Genau sieben haben sich gemeldet!» Kommissar Baumann breitete ratlos die Arme aus. «Sieben von geschätzten hundert Passagieren! Dabei stand der Aufruf in allen wichtigen Zeitungen und wurde zweimal im Rundfunk verlesen!»
    Laura steckte das Ende ihres Kugelschreibers in den Mund und nickte.
    «Genau das habe ich befürchtet! Die Leute wollen keinen Ärger. Sie könnten ja schließlich selbst in Verdacht geraten!»
    Peter Baumann ging vor ihrem Schreibtisch auf und ab. «Mich erstaunt es trotzdem immer wieder: diese ungeheuer ausgeprägte Fähigkeit wegzuschauen.»
    «Vielleicht hat niemand was gesehen – ist ja schließlich möglich, oder?»
    Baumann ließ sich in einen Stuhl am Fenster fallen und verschränkte die Arme vor der Brust.
    «Die sieben Aufrechten haben jedenfalls nichts gesehen. Aber alle haben sich an die Frau erinnert, und einer meinte, dass sie sich lange mit einem auffallend gut aussehenden jungen Mann mit blonden halblangen Haaren unterhalten hätte. Kommst du drauf, wer es sein könnte?» Er nickte grimmig vor sich hin. «Ich fürchte, es wird allmählich eng für deinen Mann ohne Vergangenheit, findest du nicht?»
    Laura nahm den Kugelschreiber aus dem Mund und zuckte die Achseln.
    «Wer weiß   …», murmelte sie und übersah das kurze triumphierende Aufblitzen in Baumanns Augen.

 
    Commissario Angelo Guerrini war an diesem Novemberabend auf dem Weg von seiner Dienststelle zum Haus seines Vaters. Die Pflastersteine in den engen Sieneser Gassen glänzten im Schein der Straßenlaternen, und Guerrini stellte sich die unzähligen Füße vor, die in den vergangenen Jahrhunderten diese Steine blank poliert und abgetreten hatten. Er fröstelte plötzlich und schlug den Kragen seiner Lammfelljacke hoch. Auch in der Toskana war es Spätherbst geworden, obwohl tagsüber die Sonne noch trügerisch wärmte. Als Guerrini an der Stadtmauer anhielt und übers Land schaute, das sich schwarz vom Himmel abhob, der noch einen Schimmer von orangerotem Licht zeigte, entdeckte er weiße Nebelfahnen, die aus den Tälern stiegen.
    Die ersten in diesem Jahr, dachte er. Solange der Nebel sich tief über den Tälern hielt, war er noch erträglich, aber wenn er aufstieg, die Dörfer auf den Bergspitzen erreichte, senkte sich Depression über das Land, das sonst so weit und warm war. Nein, der Winter war keine gute Jahreszeit in den alten Mauern. Selbst die Nachtspeicherheizung, die Guerrini sich im letzten Jahr für seine Wohnung geleistet hatte, konnte der feuchten Kälte nur wenig entgegensetzen.
    Guerrini stützte sich mit beiden Armen auf die Mauer und atmete tief den Geruch feuchter Blätter und Holzfeuer ein. Scharf wie Scherenschnitte zeichneten sich die Berge im Süden und Westen gegen den helleren Himmel ab. Sterne begannen zu funkeln, als hätte jemand sie gleichzeitig eingeschaltet. Und ein paar Sekunden lang meinte Guerrini zuspüren, dass die Erde im Raum schwebte und er mit ihr und der ganzen Stadt Siena. Doch zwanzig Meter unter ihm toste der Verkehr, ein Hund bellte in der Nähe und zwei Frauen unterhielten sich lautstark über die enorm gestiegenen Preise für Bahnfahrten, deshalb kehrte Guerrini sehr schnell aus dem Universum zurück und setzte seinen Weg fort.
    Während er langsam über Treppen und steile Gassen abwärts ging, fragte er sich zum hundertsten Mal, warum Laura seit zwei Tagen nicht angerufen hatte. Hielt sie ihn tatsächlich für einen sentimentalen Trottel, wie er es scherzhaft auf ihren Anrufbeantworter gesprochen hatte? Inzwischen hielt er sich ja selbst dafür. Vermutlich war es ein Fehler gewesen, Laura von der großen Sternschnuppe zu erzählen wie ein verliebter Jüngling.
    Er sollte seiner Erfahrung vertrauen – nicht zu offen sein, nicht zu viel von sich selbst zeigen. Zumindest jetzt noch nicht. Sie kannten sich wirklich noch nicht besonders gut. Und Laura klang am Telefon häufig sehr distanziert, kurz angebunden, als würde er stören. Deshalb hatte er beschlossen, diesmal zu warten, bis sie sich meldete. Aber es fiel ihm schwer, und er litt. Guerrini versuchte über sich selbst zu lachen, doch es gelang ihm nicht so recht.
    Bisher hatte er

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