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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Jeder Laut schmerzt. Die Welt ist grell und feindlich. Ich werde einfach warten. Vielleicht die Hand auf seine Hand legen? So leicht, wie mein Vater es neulich getan hat.
    Langsam näherte sie ihre Hand der Hand des jungen Mannes, berührte ihn kaum, eher mit ihrer Wärme denn tatsächlich. Jetzt blinzelte er nicht mehr, atmete ganz flach.
    Er weiß, dass ich da bin, dachte Laura. Sie versuchte ihre Nackenmuskeln zu entspannen, doch es gelang ihr nicht besonders gut. Ihre Hand, die über der Hand des Kranken schwebte, begann zu zittern. Vorsichtig ließ sie ihren Arm sinken und mit ihm ihre Hand, bis sie auf der fremden Hand lag und das Zittern aufhörte.
    Er schlug die Augen so unerwartet auf, dass Laura den Atem anhielt. Ferne Augen, deren Blick über sie hinglitt und dann hinter sie und über sie hinweg, verständnislos. Laura dachte, dass er aussah wie jemand, der versuchte, sich an etwas zu erinnern, aber keinen Anhaltspunkt fand. Ihr fiel die Mutter einer Freundin ein, die an Alzheimer erkrankt war. Den ganzen Tag lief sie ruhelos umher, betrachtete ihre Umgebung mit erschrockenen Augen und versuchte sich an die Bedeutung dieser Welt zu erinnern. Aber sie konnte es nicht – alles war fremd. Die Augen dieses jungen Mannes hatten genau diesen Ausdruck. So ratlos waren sie, dass Laura doch etwas sagte, ganz leise nur: «Das ist ein Krankenhaus.
E’ un ospedale.
»
    Sie sagte es zweimal, auf Deutsch und Italienisch. Dabei beobachtete sie ihn genau. Er lauschte den Worten nach, schien über ihren Sinn nachzudenken, nickte dann so unmerklich, dass Laura glaubte, sich getäuscht zu haben, und schloss die Augen.
    Laura wartete ein paar Minuten, ehe sie noch einen Versuch unternahm. Ich werde ihm eine harmlose Frage stellen, dachte sie. Auf Fragen antwortet man, wenn man sie versteht. Sie beugte sich vor, ihre Hand noch immer auf der seinen.
    «Können Sie mich verstehen?
Mi capisce?»
    Wieder reagierte er mit einer langen Verzögerung, alsbenötige sein Gehirn viel Zeit, um den Sinn des Gehörten herauszufiltern. Endlich öffnete er seine Augen und nickte – diesmal deutlicher. Sein Blick aber war so dunkel und verloren, dass Laura erschrak.
    «Sie haben keine Ahnung, wo Sie sind, nicht wahr?», fragte sie leise – diesmal nur auf Deutsch. War das der Ansatz eines Lächelns, das über sein Gesicht huschte? Er verstand also Deutsch! Jetzt tat er einen tiefen Atemzug, befeuchtete mit der Zungenspitze seine Lippen und flüsterte kaum hörbar: «Ich weiß gar nichts.»
    Er hatte Deutsch gesprochen. Vielleicht mit einem winzigen Akzent. Laura wagte sanften Druck auf seine Hand.
    «Das macht nichts», sagte sie. «Alles wird zurückkommen. Sie können sich Zeit lassen. Machen Sie sich keine Sorgen.»
    War das wieder ein Lächeln oder verzog er nur das Gesicht? Laura dachte über ihre eigenen Ermutigungsworte nach. Gebrauchten nicht alle Menschen diese Art von Sätzen, wenn sie hilflos einem Kranken oder Verletzten gegenüberstanden? Man sagte sie auch dann, wenn keinerlei Hoffnung mehr bestand. «Es wird alles wieder gut!»
    Dr.   Standhaft riss sie jäh aus ihren Gedanken und dem Zwiegespräch mit dem jungen Unbekannten.
    «Sie sind unsteril!», zischte er. «Verlassen Sie sofort diesen Raum! Ich habe Ihnen keine Erlaubnis erteilt, diesen Raum zu betreten!»
    Laura beachtete den Oberarzt nicht, sondern registrierte, dass der junge Mann sein Gesicht abwandte.
    Er nimmt positive und negative Schwingungen wahr, dachte sie. Etwas Wesentliches, das er nicht verloren hat. Noch einmal drückte sie seine Hand, dann wandte sie sich um und ging wortlos an Dr.   Standhaft vorbei auf den Flur hinaus. Der Arzt folgte ihr mit flatterndem Mantel, sein langer Hals zeigte rote Flecken.
    «Haben Sie mich verstanden? Ich bin der behandelnde Arzt! Ich trage hier die Verantwortung! Und ich untersage Ihnen weitere Belästigungen des Patienten, solange er nicht bei vollem Bewusstsein ist!»
    Dr.   Balnjewski und zwei Krankenschwestern standen wie angewurzelt nur ein paar Meter von Laura entfernt und warteten gespannt, was nun passieren würde.
    «Ach, werter Doktor!», sagte sie langsam. «Es gibt auch richterliche Anordnungen. Dieser junge Mann ist unglücklicherweise in einen Mordfall verwickelt, und deshalb ist es – übrigens ganz besonders in seinem Sinne – wichtig, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Einfach nur Kontakt. Falls Sie mir das verwehren, bleibt mir kein anderer Weg, als einen Richter zu bemühen.» Aber sie dachte: Du

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