Wie Krähen im Nebel
weitergeleitet worden.»
«Auch das Foto und die Fingerabdrücke des Mannes ohne Gedächtnis?», fragte Baumann.
«Nein, noch nicht.» Laura schüttelte den Kopf. «Er ist gestern erst aus dem Koma aufgewacht. Der Oberarzt würde uns umbringen, wenn wir seinen Patienten erkennungstechnisch behandeln würden. Und ich selbst halte es im Augenblick ebenfalls für keine gute Idee. Er muss erst wieder ein bisschen zu sich kommen. Es reicht schon, dass ihm Fingerabdrücke abgenommen wurden, als er im Koma lag. Ich jedenfalls hätte so was nicht gern, wenn ich mich nicht verteidigen könnte!»
Peter Baumann sah sie mit leicht zusammengekniffenen Augen an.
«Jajaja!», brummte Laura ihn an. «Du hast ganz recht gehört, und es hat überhaupt nichts mit Mutterinstinkt zu tun! Im Gegenteil – wenn du es genau wissen willst, finde ich den jungen Mann ziemlich attraktiv!»
Baumann zog die linke Augenbraue hoch.
«Was ich mir von dir wünsche», sagte Laura, «sind die unsichtbaren Putzfrauen, die du noch immer nicht gefunden hast. Und von dir, Andreas, möchte ich alles wissen, was du aus der Kleidung des Unbekannten ablesen konntest!»
Peter Baumann senkte den Kopf und betrachtete interessiert seine Lederstiefel. Havel nickte und zog ein Blatt Papier aus der Mappe, die er vor sich auf Lauras Schreibtisch gelegt hatte.
«Es waren keine billigen Klamotten. Armani-Jeans, Lederjacke von Versace und so weiter. Die einzelnen Marken tun ja nicht unbedingt etwas zur Sache. Also, wenn ich von derKleidung ausgehe, müsste der Mann Italiener sein, obwohl es auch unter Deutschen seltene Exemplare gibt, die derart gründlich durchgestylt sind. Ich hab mal im Kopf durchgerechnet, was dieser Junge so auf dem Leib trug, und kam auf stolze dreitausend Euro – mindestens. Wahrscheinlich eher mehr, denn ich hab die Preise nur geschätzt.»
«Und was noch?» Ungeduldig klopfte Laura mit dem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte.
«Verdammt wenig. Eigentlich nichts, wenn ich ganz ehrlich bin. Kein Stück Papier in irgendwelchen Jacken- oder Hosentaschen, kein noch so winziger Hinweis auf seine Identität. Aber auch kein Blut oder andere Spuren, die einen Kontakt mit der Toten beweisen könnten. Nur das Blut des Rangierarbeiters haben wir auf den Jeans und der Jacke gefunden. Keine Schmauchspuren am Jackenärmel, nichts. Ich kann dir leider auch nicht weiterhelfen, Laura.»
Baumann erhob sich seufzend.
«Unsichtbare Putzfrauen», murmelte er. «Morgen wird in fünf Tageszeitungen zum dritten Mal ein Aufruf an die Passagiere des Eurocity aus Rom erscheinen. Irgendjemand muss doch etwas gesehen oder gehört haben!»
«Na gut!» Laura Gottberg legte den Kugelschreiber weg und zerknüllte das Papier mit ihren Kritzeleien. «Für heute ist die Sitzung beendet. Ich werde versuchen, das Treffen mit unserem werten Kriminaloberrat auf morgen zu verschieben. Bis dahin hoffe ich, dass wir wenigstens den Ansatz einer Spur finden. Heute Abend trifft übrigens wieder die Eurocity-Crew aus Italien ein. Ich werde auf die Ankunft des Zuges warten, weil ich nochmal mit den Schaffnern und dem Zugchef reden will.»
«Brauchst du mich dabei?» Baumann sah Laura fragend an.
«Nein. Dein Italienisch ist nicht gut genug. Und als Leibwachekann ich mir auch ein paar Typen von der Bahnpolizei leihen.»
«Naja, vielleicht wird ja auch mal jemand um die Ecke gebracht, der aus England oder Amerika stammt …»
«… oder aus Tschechien!», grinste Andreas Havel. «Dann können nämlich wir glänzen!»
Die beiden drängten davon, sich gegenseitig schubsend und so albern, dass Laura ihnen Kusshände nachwarf. Aber kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, da streckte sie die Beine von sich, lehnte sich zurück und schloss die Augen. In ihrem Nacken und in der rechten Schulter hing eine schmerzhafte Verspannung. Mit winzigen Bewegungen versuchte Laura ihre Muskeln zu lösen, doch sie erreichte nur, dass die Schmerzen stärker wurden, sich von dumpf zu stechend entwickelten. Außerdem hörte sie in ihrem rechten Ohr ein diffuses Rauschen.
Typische Stresssymptome, dachte sie. Immerhin sind die Kinder heute Abend bei meinem Ex-Mann, und ich muss mich nicht ums Essen kümmern, sondern kann in Ruhe auf die Ankunft des Eurocity warten. Vorher werde ich allein essen gehen, dabei die Zeitung lesen und … sie musste Angelo anrufen. Das hatte absoluten Vorrang vor allen anderen Dingen. Seit drei Tagen schob sie dieses Gespräch vor sich her und
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